Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
davon ahnte. Da mir Worte unmöglich schienen, erfand ich eine Geste. Freilich barg dieser Vorstoß ein großes Risiko in sich; Mama würde meine Initiative lächerlich finden oder Zaza selbst sie möglicherweise mit Befremden aufnehmen. Aber ich hatte ein solches Bedürfnis danach, meinen Gefühlen Ausdruck zu geben, dass ich einmal tatsächlich meine Grenzen überschritt. Ich teilte meinen Plan meiner Mutter mit, die ihn billigte. Ich hatte vor, Zaza zu ihrem Namenstage ein Täschchen zu schenken, das ich mit eigener Hand herstellen wollte. Ich kaufte rote und blaue golddurchwirkte Seide, die mir die Höhe des Luxus schien; nach einem Muster aus der
Praktischen Mode
brachte ich den Stoff auf eine Grundform aus Rohrgeflecht und fütterte das Täschchen mit kirschroter Seide ab; endlich umhüllte ich mein Werk mit Seidenpapier. An dem bewussten Tag passte ich Zaza in der Garderobe ab; als ich ihr mein Geschenk überreichte, sah sie mich voll Staunen an, dann stieg ihr das Blut in die Wangen, und ihr Gesicht veränderte sich; einen Augenblick lang standen wir einander stumm gegenüber, befangen durch unsere innere Bewegung und unfähig, in unserem Repertoire ein geeignetes Wort oder eine passende Gebärde zu finden. Am folgenden Tage trafen sich unsere Mütter. «Du musst dich bei Madame de Beauvoir bedanken», sagte Madame Mabille mit ihrer höflichen Stimme, «sie hat sich deinetwegen so viel Mühe gemacht.» Sie versuchte also, meine Handlungsweise in den Rahmen des Höflichkeitsaustausches unter Erwachsenen einzubeziehen. Ich stellte in diesem Augenblick fest, dass ich sie nicht ausstehen konnte. Im Übrigen erlitt sie Schiffbruch. Zwischen uns hatte sich etwas zugetragen, was nicht mehr auszulöschen war.
Dennoch blieb ich auf der Hut. Selbst wenn Zaza sich durchaus freundschaftlich zeigte, selbst wenn sie sich in meiner Gesellschaft wohl zu fühlen schien, hatte sie noch immer Angst, ich könne ihr lästigfallen. Jene geheimnisvolle ‹Persönlichkeit›, die in ihr wohnte, gab sie mir immer nur auf ganz kurze Augenblicke zu erkennen: Ich machte mir eine fast religiöse Vorstellung von ihrer eigenen Konfrontation mit sich selbst. Eines Tages ging ich in die Rue de Varennes, um mir bei ihr ein Buch abzuholen, das sie mir leihen wollte; sie war nicht zu Hause; man ließ mich in ihr Zimmer eintreten, ich solle dort warten, sie sei bestimmt sehr bald wieder zurück. Ich betrachtete die hellblau tapezierten Wände, die
Heilige Anna selbdritt
von Leonardo da Vinci, das Kruzifix; auf ihrem Schreibtisch hatte Zaza eines ihrer Lieblingsbücher, die
Essais
von Montaigne, aufgeschlagen zurückgelassen. Ich las die Seite, bei der sie gerade stehengeblieben war und an der sie später weiterlesen würde: Was stand dort geschrieben? Die gedruckten Zeichen schienen mir schwerer zu entziffern als in den Zeiten, da ich das Alphabet noch nicht kannte. Ich versuchte das Zimmer mit Zazas Augen zu sehen, mich in den Monolog ihres Innern hineinzuversetzen: umsonst. Ich konnte alle die Gegenstände berühren, in die ihre Gegenwart sich eingezeichnet hatte, aber sie gaben sie mir nicht preis; indem sie mir kündeten, verbargen sie sie mir auch. Man hätte meinen können, dass sie sich gegen jeden Versuch einer Annäherung von meiner Seite verwahrten. Zazas Existenz schien mir so hermetisch abgeschlossen, dass ich darin nicht den geringsten Platz für mich fand. Ich ergriff mein Buch und flüchtete. Als ich ihr am folgenden Tage begegnete, schien sie sehr verwundert: Weshalb war ich so eilig wieder gegangen? Ich konnte ihr dafür keine Erklärung geben. Ich gestand sogar mir selbst die fieberhafte Qual nicht ein, mit der ich das Glück bezahlte, das sie mir spendete.
Die meisten Jungen, die ich kannte, fand ich steif und borniert; dennoch wusste ich, dass sie einer bevorrechtigten Kategorie angehörten. Ich war bereit, sobald sie nur ein wenig Charme oder Lebendigkeit zeigten, ihren Vorrang anzuerkennen. Mein Vetter Jacques hatte den seinen für mich nie verloren. Er bewohnte allein mit seiner Schwester und einem alten Dienstmädchen das Haus am Boulevard Montparnasse und kam oft abends zu uns. Mit dreizehn Jahren hatte er bereits die Umgangsformen eines jungen Mannes. Die Selbständigkeit seines Lebens, seine Autorität in allen Diskussionen hatten aus ihm vorzeitig einen Erwachsenen gemacht, und ich fand ganz normal, dass er mich als kleine Cousine behandelte. Wir freuten uns sehr, meine Schwester und ich, wenn wir sein
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