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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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dass meine Kindheit zu Ende ging. Die Erwachsenen bevormundeten mich zwar noch, vermochten mir aber nicht mehr den Frieden des Herzens zu sichern. Ich war von ihnen durch die Freiheit getrennt, aus der ich freilich keine stolze Genugtuung zog, sondern die ich nur einsam erlitt.
     
    Ich herrschte nicht mehr über die Welt. Die Fassaden der Häuser, die gleichgültigen Blicke der Vorübergehenden verwiesen mich ins Exil. Deshalb nahm meine Liebe zum Lande mystische Ausmaße an. Sobald ich in Meyrignac war, sanken die Mauern rings um mich nieder, der Horizont wich weiter zurück. Ich verlor mich im Unendlichen und blieb dennoch ich selbst. Unter den Lidern verspürte ich die Hitze der Sonne, die für alle strahlt und die hier, in diesem Augenblick, mich umschmeichelte. Der Wind umwogte die Pappeln, er kam aus der Ferne, von überall her, er brauste durch den Raum, und ich wehte und webte mit ihm bis an die Grenzen der Erde. Wenn der Mond sich am Himmel hob, fühlte ich mich mit fernen Städten, mit Wüsten, Meeren, Dörfern verbunden, die im gleichen Augenblick von seinem Licht überflutet wurden. Ich war nicht mehr ein leeres Bewusstsein, ein abstrakter Blick, sondern das Wogen der Buchweizenähren, der intime Duft des Heidekrauts, die dichte Wärme des Mittags und das leise Schauern der Dämmerung; ich wog schwer, und dennoch verflüchtigte ich mich im Himmelsblau, ich hatte keine Grenzen.
    Meine Kenntnis der Menschen bestand noch nicht lange, mangels rechter Einsicht und geeigneter Formulierungen erfasste ich ihr Wesen nicht ganz. Die Natur enthüllte mir in sichtbarer und greifbarer Gestalt eine Menge von Formen des Lebens, denen ich sonst nie nähergekommen wäre. Ich bestaunte die großartige Einsamkeit der Eiche, die den ‹Landschaftspark› beherrschte; ich fühlte mich wehmütig gestimmt durch die kollektive Verlassenheit, in der die Grashalme lebten. Ich lernte die Unschuld des Morgens kennen, die Schwermut der Dämmerung, Triumph und Niedergang, frühlingshaftes Werden und Todesgrauen. Etwas in mir würde eines Tages mit dem Duft des Geißblatts harmonisch zusammenstimmen. Jeden Abend saß ich an der gleichen Stelle im Heidekraut und betrachtete die blaue Wellenlinie der Monédières: Jeden Abend ging die Sonne hinter dem gelben Hügel unter, aber die Tönungen: Rot, Rosa, Karmin, Purpur und Violett waren nie die gleichen. In den ruhig daliegenden Wiesen summte es vom Morgen bis in die Nacht von immer neuem Leben. Unter dem ewig wechselnden Himmel bedeutete Treue nicht bloße Routine und Altern nicht unbedingt Verzicht.
    Von neuem war ich einzig und fühlte, dass alles nach mir verlangte: Mein Blick war nötig, damit das Rot der Buche sich vom Blau der Zeder und dem Silberton der Pappel unterschied. Wenn ich fortging, zerfiel die Landschaft, sie existierte für niemanden, sie war überhaupt nicht mehr da.
    Dennoch verspürte ich weit lebhafter als in Paris die Gegenwart Gottes rings um mich her; in Paris blieb er mir hinter den Menschen und ihren Werken verborgen; hier sah ich Gräser und Wolken so, wie er sie dem Chaos abgewonnen hatte, sie trugen seine Spur. Je mehr ich mich an den Boden heftete, desto näher kam ich ihm, sodass jeder Spaziergang zu einem Akt der Anbetung wurde. Seine Souveränität nahm mir die meine jedoch nicht. Er kannte alle Dinge auf seine Art, das heißt absolut. Aber es kam mir doch vor, als brauche er gewissermaßen meine Augen, damit die Bäume Farbe bekämen. Der brennende Sonnenglast, die kühle Frische des Taus – wie konnten sie von einem reinen Geist verspürt werden außer durch das Mittel meines Körpers? Er hatte diese Erde für die Menschen geschaffen, die Menschen aber, damit sie Zeugnis von ihrer Schönheit ablegten: Die Mission, mit der ich mich immer schon auf unbestimmte Weise betraut gefühlt hatte, war mir von ihm zugewiesen worden. Weit davon entfernt, mich zu entthronen, befestigte er meine Herrschaft vielmehr. Wenn der Schöpfung meine Gegenwart fehlte, glitt sie in dumpfen Schlummer zurück; indem ich sie weckte, oblag ich meinen heiligsten Pflichten, während die Erwachsenen die Pläne Gottes verrieten. Sobald ich morgens die weißen Gatter hinter mir gelassen hatte, um mich ins Waldesdickicht zu flüchten, rief er mich ganz persönlich an. Er sah mich wohlgefällig die Welt betrachten, die er geschaffen hatte, auf dass ich sie erschaue.
    Selbst wenn mich Hunger peinigte, wenn ich vom Lesen und Grübeln müde war, widerstrebte es mir, mich in den

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