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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Mabilles Vorliebe für ihre Schwester Lili. Auf alle Fälle kann der dritte Spross einer Familie von neun Kindern sich eigentlich nur als eine Nummer unter anderen empfinden; er hat teil an einer gewissen Kollektivbeachtung, die nicht dazu ermuntert, sich für etwas Besonderes zu halten. Die kleinen Mabilles waren alle recht unverfroren; sie stellten ihre Familie zu hoch, um Fremden gegenüber schüchtern zu sein; wenn aber Zaza, anstatt sich als Glied ihrer Sippe zu empfinden, mit sich selbst allein war, entdeckte sie an sich eine Unmenge Fehler: Sie war hässlich, steif, wenig liebenswürdig und nicht beliebt: Durch Spott kompensierte sie solche Minderwertigkeitsgefühle. Ich merkte es damals nicht, aber niemals machte sie sich über meine Fehler lustig, sondern nur über meine Tugenden; niemals stellte sie ihre eigenen Gaben und Erfolge in den Vordergrund, sie wies nur auf ihre Schwächen hin. In dem Jahr, als wir vierzehn Jahre alt wurden, schrieb sie mir in den Osterferien, sie habe noch keinen Mut, ihre Physikprüfung zu machen, doch sei sie unglücklich bei dem Gedanken, dass sie den nächsten Aufsatz verpatzen könnte. ‹Sie können mich nicht verstehen›, schrieb sie, ‹weil Sie, wenn Sie das Aufsatzschreiben lernen müssten, es eben lernen würden, anstatt sich damit zu quälen, dass Sie es nicht können.› Ich war betrübt, als ich diese Zeilen las, die meine Eigenheiten einer guten Schülerin ins Lächerliche zogen; aber ihre versteckte Aggressivität bedeutete auch gleichzeitig, dass Zaza ihre eigene Indolenz missbilligte. Wenn ich aufreizend auf sie wirkte, so deswegen, weil sie mir zugleich recht und unrecht gab; freudlos verteidigte sie gegen meine Vollkommenheiten das benachteiligte Kind, das sie in ihren eigenen Augen war.
    Ressentiment lag auch in ihrer Verachtung der Menschheit: Sie schätzte sich nicht sehr hoch ein, aber auch die übrige Menschheit kam ihr nicht eben achtunggebietend vor. Sie suchte im Himmel die Liebe, die ihr auf Erden versagt war; sie war sehr fromm. Sie lebte in einem einheitlicheren Milieu, als das meine es war, da in dem ihren religiöse Werte einstimmig und mit Emphase hochgehalten wurden: Das Dementi, das die Praxis der Theorie entgegensetzte, fiel ihr dadurch nur auf eine umso skandalösere Weise in die Augen. Die Mabilles gaben Geld für wohltätige Zwecke. Jedes Jahr nahmen sie an der nationalen Pilgerfahrt nach Lourdes teil; die Buben dienten dort als Krankenträger, die Mädchen wuschen in den Hospitalküchen das Geschirr. In ihrer Umgebung sprach man viel von Gott, von Mildtätigkeit, von Idealen; aber Zaza überzeugte sich schnell, dass alle diese Leute nur Sinn für Geld und soziale Würden hatten. Diese Heuchelei empörte sie; sie schützte sich dagegen durch einen vorgefassten Zynismus. Niemals bemerkte ich, wie viel Zerrissenheit und Disharmonie in dem lag, was man im Cours Désir ihre ‹Paradoxen› nannte.
    Zaza duzte ihre anderen Freundinnen; in den Tuilerien spielte sie mit jeder beliebigen Gefährtin, sie hatte sehr freie und sogar etwas dreiste Manieren. Indessen waren meine Beziehungen zu ihr eher steif; wir küssten uns weder, noch pufften wir uns; wir sagten immer weiter ‹Sie› zueinander und unterhielten uns in einer eher distanzierten Art. Ich wusste, dass sie an mir weit weniger hing als ich an ihr; sie zog mich unseren anderen Schulkameradinnen vor, aber das Schulleben spielte bei ihr keine so große Rolle wie bei mir; ganz auf ihre Familie, ihren Umgangskreis, ihr Klavier und ihre Ferien bedacht, gestand sie mir einen Platz in ihrer Existenz zu, der für mich nur unklar umrissen blieb; anfangs hatte ich mich deswegen nicht gesorgt; jetzt aber fragte ich mich danach; ich war mir bewusst, dass mein Lerneifer und meine Fügsamkeit sie langweilten; bis zu welchem Punkt schätzte sie mich? Es kam gar nicht in Frage, dass ich ihr meine Gefühle offenbarte oder etwa versuchte, die ihren kennenzulernen. Es war mir gelungen, mich innerlich von den Klischees frei zu machen, mit denen die Erwachsenen die Kindheit zu belasten pflegen. Ich hatte den Mut zu meinen Ergriffenheiten, meinen Träumen, meinen Wünschen und sogar zu gewissen Wörtern. Aber ich stellte mir nicht vor, dass man in aufrichtiger Weise mit einem anderen Wesen einen wirklichen Austausch haben könne. In den Büchern erklären die Leute einander ihre Liebe und ihren Hass, sie legen ihr Herz in irgendwelche Phrasen; im Leben spricht man niemals so gewichtige Worte aus. Das, was

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