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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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‹man sagt›, ist ebenso geregelt wie das, was ‹man tut›. Man kann sich nichts Konventionelleres denken als die Briefe, die wir austauschten. Zaza wendete die Gemeinplätze allerdings etwas eleganter an als ich; aber keine von uns beiden gab dem Ausdruck, was sie wirklich bewegte. Unsere Mütter lasen unsere Korrespondenz: Diese Zensur war freien Herzensergießungen naturgemäß nicht günstig. Aber selbst in unseren Unterhaltungen beobachteten wir unausgesprochene Regeln der Konvenienz; wir fühlten uns immer ängstlich durch ein gewisses Schamgefühl beschränkt, da wir beide überzeugt waren, dass wir die Wahrheit unseres Innern nicht einfach kundgeben dürften. Ich sah mich also gezwungen, höchst vage Indizien zu interpretieren; das geringste Lob aus Zazas Mund bereitete mir überschwängliche Freude; ihr spöttisches Lächeln, mit dem sie nicht eben kargte, wirkte vernichtend auf mich. Das Glück, das unsere Freundschaft mir schenkte, wurde während dieser undankbaren Jahre von der ständigen Sorge, ihr zu missfallen, getrübt.
    In dem einen Jahr litt ich in den Ferien furchtbare Qualen durch ihre Ironie. Ich hatte zusammen mit meiner Familie die Wasserfälle von Gimel bewundert; auf ihren allgemein anerkannten malerischen Reiz reagierte ich mit einer Begeisterung gleichsam auf Bestellung: Da meine Briefe ein Ausfluss meines Lebens mit anderen waren, verschwieg ich selbstverständlich sorgfältig die einsamen Freuden, die mir das Landleben schenkte; hingegen verlegte ich mich darauf, Zaza diesen Familienausflug, seine Schönheiten und mein Entzücken darüber zu beschreiben. Die Plattheit meines Stils unterstrich in jämmerlicher Weise die Unaufrichtigkeit meiner Empfindungen. In ihrer Antwort deutete Zaza spöttisch an, dass ich ihr wohl aus Versehen eine meiner schriftlichen Ferienaufgaben geschickt habe: Ich weinte vor Zorn. Ich spürte, dass sie mir etwas Ernsteres vorwarf als die ungeschickte Prätention meiner Phrasen: Ich legte eben nie das Gewand der guten Schülerin ab. Das war gewissermaßen wahr, aber es stimmte auch, dass ich Zaza mit einer Hingebung liebte, die ganz unabhängig von Gebräuchen und klischeehaften Vorstellungen war. Ich stimmte nicht ganz mit dem Bild überein, das Zaza sich von mir machte; aber ich fand auch nicht den Weg, diese Vorstellung auszumerzen und Zaza mein Herz zu eröffnen, wie es wirklich war. Dieses Missverständnis brachte mich zur Verzweiflung. In meiner Antwort tat ich so, als werfe ich Zaza scherzend ihre Bosheit vor; sie fühlte, dass sie mir Kummer gemacht hatte, denn sie entschuldigte sich sofort. Ich sei, sagte sie zu mir, das Opfer einer momentanen schlechten Laune geworden. Auf der Stelle gewann ich mein seelisches Gleichgewicht zurück.
    Zaza ahnte nicht, wie sehr ich sie verehrte, noch dass ich mich ihr zuliebe jeden Hochmuts begab. Bei einem Wohltätigkeitsbasar des Cours Désir prüfte eine Graphologin unsere Handschriften. Die Zazas schien ihr auf Frühreife, starke Gefühlsfähigkeit, geistige Kultur und erstaunliche künstlerische Begabung hinzuweisen; in der meinen entdeckte sie einzig infantile Züge. Ich nahm dieses Verdikt ruhig hin: Ja, ich war eine fleißige Schülerin, ein braves Kind und sonst nichts. Zaza protestierte mit einer Heftigkeit, die mir einen gewissen Trost gewährte. In einem Brief, in dem sie sich gegen eine andere, ebenfalls ungünstige Analyse wendete, die ich ihr geschickt hatte, entwarf sie mein Porträt: ‹Ein wenig Reserve, ein gewisses Maß an geistiger Unterordnung unter Doktrinen und Gepflogenheiten; ich möchte hinzufügen: viel Herz und eine nachsichtige Verblendung ohnegleichen Ihren Freundinnen gegenüber.›
    Es kam nicht häufig vor, dass wir so ausdrücklich von uns sprachen. Lag es an mir? Tatsache ist, dass Zaza in freundlicher Weise auf meine ‹Reserve› anspielte: Wünschte sie von meiner Seite vielleicht größere Freimütigkeit? Die Zuneigung, die ich ihr entgegenbrachte, war fanatisch, die ihre mir gegenüber voller Vorbehalte; aber zweifellos war ich für dieses Übermaß an Zurückhaltung verantwortlich.
    Diese Reserve lastete besonders auf mir. Obwohl Zaza ausfällig und ironisch sein konnte, hatte sie doch viel Gefühl; eines Tages war sie im Cours Désir mit ganz verstörter Miene erschienen, weil sie am Tage zuvor die Nachricht vom Tode eines entfernten kleinen Vetters bekommen hatte. Sie wäre über den Kult gerührt gewesen, den ich mit ihr trieb; es wurde mir unerträglich, dass sie nichts

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