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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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würde mich nicht verheiraten, es sei denn, ich stieße auf jemanden, der, wenn auch schon weiter vervollkommnet als ich, doch meinesgleichen, eine Art Doppelgänger von mir wäre.
    Weshalb verlangte ich, dass er mir überlegen sei? Ich glaube durchaus nicht, dass ich in ihm etwas wie einen Vaterersatz gesucht habe; ich legte Wert auf meine Unabhängigkeit. Ich würde einen Beruf ausüben, schreiben, ich würde ein persönliches Leben haben; niemals fasste ich mich nur als die künftige Gefährtin eines Mannes auf: Wir würden wie zwei Compagnons sein. Indessen wurde die Vorstellung, die ich mir von dem Paar machte, das wir bilden würden, dennoch indirekt von den Gefühlen beeinflusst, die ich meinem Vater entgegengebracht hatte. Meine Erziehung, meine Bildung und mein Bild von der gegenwärtig bestehenden Gesellschaft, alles das überzeugte mich, dass die Frauen einer niedrigeren Kaste angehörten; Zaza zweifelte daran, weil sie bei weitem ihrer Mutter vor Herrn Mabille den Vorzug gab; in meinem Falle hatte hingegen das Prestige meines Vaters mich in meiner Meinung bestärkt; auf sie zum Teil gründete ich meine Forderungen. Wenn ein Mann, der ja als solcher von Natur einer bevorzugten Klasse angehörte und von vornherein einen beträchtlichen Vorsprung vor mir hatte, nicht mir überlegen war, würde ich zu dem Urteil kommen, dass er dementsprechend weniger sei als ich; damit ich ihn als meinesgleichen anerkennen könnte, müsste er mich übertreffen.
    Andererseits dachte ich an mich selbst wie an jemanden, aus dem erst noch etwas werden sollte, und hatte dabei den Ehrgeiz, unendlich weit vorzudringen; den Erwählten sah ich von außen her als eine fertige Person; damit er immer auf meiner Höhe bliebe, wies ich ihm von Anbeginn an Vollkommenheiten zu, die zunächst für mich nur als Hoffnung bestanden; er war von vornherein die Idealform dessen, was ich werden wollte, also war er mir voraus. Im Übrigen war ich darauf bedacht, keine zu große Distanz zwischen uns zu legen. Ich hätte nicht gern gesehen, dass sein Denken, seine Arbeit für mich unbegreiflich wären; dann hätte ich unter meiner Minderwertigkeit gelitten; die Liebe, so dachte ich mir, sollte mich rechtfertigen, ohne mich zu begrenzen. Das Bild, das ich mir vorstellte, war das eines steilen Aufstiegs, bei dem mein Partner, der beweglicher und robuster sein müsste als ich, mir behilflich wäre, mich von Stufe zu Stufe zu erheben. Ich war eher habgierig als gebefreudig, ich wollte empfangen, nicht schenken. Hätte ich einen Schleppzug hinter mir herziehen müssen, so hätte ich mich vor Ungeduld verzehrt. In diesem Falle wäre Junggesellentum der Ehe bei weitem vorzuziehen. Das gemeinsame Leben sollte mein Grundunterfangen, nämlich mir die Welt anzueignen, begünstigen, nicht jedoch ihm im Wege stehen. Weder mir unterlegen noch anders als ich noch beschämend über mir stehend, sollte der mir vorbestimmte Mann mir meine Existenz garantieren, ohne ihr ihre Selbstherrlichkeit zu nehmen.
    Zwei oder drei Jahre lang bestimmte dieses Schema meine Träumereien. Ich maß ihnen eine gewisse Wichtigkeit bei. Eines Tages drang ich angstvoll in meine Schwester mit der Frage, ob ich hoffnungslos hässlich sei. Hatte ich Aussicht, als Frau hübsch genug zu werden, dass man mich lieben könnte? Da Poupette daran gewöhnt war, von Papa zu hören, ich sei im Grunde ein Mann, verstand sie meine Frage nicht. Sie liebte mich, Zaza liebte mich, warum machte ich mir Sorgen? Tatsächlich beschäftigte mich das alles auch nur mit Maßen. Meine Studien, die Literatur, die Dinge, die von mir selbst abhingen, standen auch weiterhin im Mittelpunkt meines Interesses. Dieses galt weniger meinem Erwachsenenschicksal als meiner unmittelbaren Zukunft.
    Nach Abschluss der zweiten Klasse – ich war damals fünfzehneinhalb Jahre alt – verlebte ich mit meinen Eltern die Sommerferien in Châteauvillain. Tante Alice war gestorben, wir wohnten bei Tante Germaine, der Mutter von Titite und Jacques. Dieser war gerade dabei, in Paris die mündliche Prüfung für sein Abiturium abzulegen. Ich mochte Titite sehr gern; sie strahlte von Frische und hatte schöne, volle Lippen; unter ihrer Haut erriet man das Pulsieren ihres Blutes. Mit einem Kindheitsfreund verlobt, einem bezaubernden jungen Mann mit enorm langen Wimpern, erwartete sie die Heirat mit einer Ungeduld, aus der sie kein Hehl zu machen versuchte; gewisse Tanten tuschelten darüber, dass sie sich, wenn sie mit ihrem Verlobten

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