Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Sie würde mir eine Unsterblichkeit sichern, die mir ein Ausgleich für die verlorene ewige Seligkeit wäre; es gab keinen Gott mehr, der mich liebte, aber ich würde in Millionen von Herzen wie eine Flamme weiterbrennen. Indem ich ein aus meinem eigenen Erleben genährtes Werk verfasste, würde ich mich selber wiedererschaffen und mein Dasein rechtfertigen. Zugleich würde ich der Menschheit dienen: Mit welchem schöneren Geschenk als Büchern konnte man sie bedenken? Ich interessierte mich zugleich für mich und für die anderen; ich fand mich mit einer ‹Fleischwerdung› ab, aber ich wollte dennoch nicht auf universales Sein verzichten; dieser Plan kam allem entgegen; er schmeichelte allen Bestrebungen, die sich in mir im Laufe dieser fünfzehn Jahre ausgebildet hatten.
Stets hatte ich der Liebe hohen Wert beigemessen. Als ich nahezu dreizehn Jahre alt war, hatte ich in der Wochenzeitschrift
Le Noël
, die ich jetzt anstelle von
L’Étoile noëliste
geliefert bekam, einen kleinen Roman gelesen, der
Ninon-Rose
betitelt war. Die fromme Ninon liebte André, der sie auch seinerseits liebte; aber in Tränen, mit aufgelöstem Haar, das in voller Schönheit über ihr Nachtgewand fiel, vertraute ihr ihre Cousine Thérèse an, dass sie sich in Leidenschaft für André verzehre; nach einem inneren Kampf und einigen Gebeten opferte Ninon sich auf; sie wies André ab, der aus verschmähter Liebe Thérèse heiratete. Ninon wurde belohnt; sie vermählte sich mit einem anderen höchst verdienstlichen Burschen, der Bernard hieß. Diese Geschichte weckte bei mir heftigen Widerspruch. Ein Romanheld hatte wohl das Recht, sich über den Gegenstand seiner Neigung oder über seine Gefühle zu täuschen; auf eine fehlgeleitete oder unvollständig gebliebene Liebe – wie etwa die von David Copperfield zu seinem ‹child-wife› – konnte die wahre Liebe folgen; war aber diese erst einmal im Herzen erwacht, so war sie unersetzbar; kein Edelmut, keine Selbstverleugnung gab einem das Recht dazu, sie von sich wegzuweisen. Zaza und ich waren alle beide sehr aufgewühlt worden durch einen Roman von Fogazzaro,
Daniele Cortis
. Daniele war ein bedeutender katholischer Politiker; die Frau, die er liebte und die ihn liebte, war die Frau eines anderen; es bestand zwischen ihnen ein außergewöhnliches Einvernehmen; ihre Herzen schlugen in tiefster Harmonie, alle ihre Gedanken waren vollkommen aufeinander abgestimmt, die beiden waren füreinander gemacht. Indessen hätte selbst eine platonische Freundschaft Gerede hervorgerufen und dadurch Danieles Karriere ebenso wohl ruiniert wie der Sache, der er diente, geschadet; nachdem sie einander Treue ‹bis zum Tode und noch darüber hinaus› geschworen hatten, trennten sie sich. Ich war zugleich untröstlich und von Unmut erfüllt. Die Karriere, die ‹Sache›, das waren abstrakte Dinge. Ich fand es absurd und verbrecherisch, sie dem Glück, dem Leben vorzuziehen. Zweifellos lag es an meiner Freundschaft für Zaza, dass ich so großen Wert auf die enge Verbindung zweier Wesen legte; indem sie zusammen die Welt entdeckten und einander darboten, nahmen sie davon, so dachte ich, auf eine bevorrechtete Weise Besitz; gleichzeitig aber fand jeder von beiden seinen letztlichen Daseinsgrund in dem Bedürfnis des anderen nach ihm. Auf die Liebe verzichten kam mir genauso sinnlos vor, als wenn man, obwohl man an die Ewigkeit glaubt, sich für sein Seelenheil nicht interessiert.
Ich hatte nicht vor, mir irgendeines der Güter der Welt entgehen zu lassen. Als ich auf das Klosterleben verzichtet hatte, fing ich an, auch für meine Person an Liebe zu denken; ich träumte nun auch ohne Widerwillen von einer möglichen Heirat. Die Idee der Mutterschaft blieb mir fremd, ich wunderte mich, dass Zaza angesichts von zerknitterten Neugeborenen in Ekstase geriet, aber es kam mir nicht mehr undenkbar vor, dass ich an der Seite eines Mannes lebte, den ich mir selber ausgesucht hätte. Das Vaterhaus war für mich kein Gefängnis, und hätte ich es auf der Stelle verlassen müssen, so hätte mich Panik erfasst; aber ich sah doch einem eventuellen Auszug nicht mehr wie einer grausamen Loslösung entgegen. Der Kreis der Familie hatte leicht für mich etwas Erstickendes. Deshalb machte mir ein Film so lebhaften Eindruck, der nach
Le Bercail
von Bataille gestaltet worden war und den ich dank einer Einladung zu sehen bekam. Die Heldin langweilte sich zwischen ihren Kindern und einem Gatten, der ebenso widerborstig war
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