Memoria
Dann hörte er ein widerliches Knirschen und Knacken, und Navarro wandte sich wieder zu ihm um. Mit schadenfroher Miene zeigte er Walker etwas.
Einen Finger, den er in seiner blutverschmierten Hand hielt.
Walker schmeckte Galle im Mund.
«Das war der erste, bleiben noch neunzehn. Wollen wir es noch mal versuchen?»
Walker spürte, wie ihm der Schweiß in Strömen herunterlief. «Ich sagte doch», stieß er verbissen hervor, «fick dich.»
Er hörte wieder ein Knirschen.
Wieder ein Knacken.
Jetzt kam er nicht mehr gegen seine Übelkeit an. Er erbrach sich, und obwohl er wusste, dass er eigentlich keinen Schmerz empfinden dürfte, gaukelte seine Wahrnehmung ihm dennoch welchen vor. Er fühlte, wie sein Bewusstsein schwand.
«Nun?», fragte Navarro.
Walker nahm die wenige Kraft zusammen, die er noch besaß, und spuckte noch einmal nach dem Mexikaner, doch es war ein jämmerlich schwacher Versuch, der sein Ziel verfehlte. Er wurde noch mutloser.
Navarro sah ihn an wie ein enttäuschter Vater seinen Sohn, dann wandte er sich ab.
«Ich habe nicht allzu viel Zeit, also … Vergessen wir doch vorerst die übrigen und wenden uns etwas … Überzeugenderem zu?»
Walker sah, wie Navarro seinen Helfern zunickte, und eine perverse, surreale Mischung aus Entsetzen und Faszination durchströmte ihn, während er beobachtete, wie die Mexikaner sich bückten, um seinen Gürtel zu öffnen und ihm die Jeans herunterzuziehen.
Dann ging Navarro erneut ans Werk.
Kapitel 23
Die Babylon Eagles. So nannten sich die Dreckskerle.
Ein Hoch auf die Jungs von der ATF , sie brauchten nicht einmal zehn Minuten, um den Namen zu liefern, nachdem Villaverde ihnen mein Foto von der Tätowierung weitergeleitet hatte. Sie hatten auch die Adresse vom hiesigen Treff des Clubs, der zugleich das Hauptquartier war. Das Clubhaus war an eine Motorradwerkstatt angeschlossen, die als legale Fassade diente, und lag an einer Seitenstraße des El Cajon Boulevard in La Mesa. Die Adresse sagte mir nichts, aber ich gab sie in mein Navi ein, und schon war ich auf dem Weg dorthin. Villaverde würde ebenfalls hinfahren und Verstärkung mitbringen, ein Sondereinsatzkommando, ATF und Polizei.
Wieder auf dem Freeway, fuhr ich nach Norden, ein volles Magazin in meiner Browning, eine Signalleuchte auf dem Wagendach und das Gaspedal voll durchgetreten.
Ich hoffte, als Erster anzukommen.
Kapitel 24
Walker fühlte sich benommen wie nie zuvor.
Dieser Bär von einem Mann war vor Jahren im Gefecht verwundet worden. Kugeln und Schrapnelle hatten sich in sein Fleisch gebohrt, aber er hatte sich tapfer gehalten und war aufs Schlachtfeld zurückgekehrt. Auch danach, seit er aus dem Golf zurückgekehrt war und die Eagles gegründet hatte, hatte er noch reichlich Verletzungen davongetragen, von diversen Klingen, Schlagringen und Baseballschlägern. Walker hielt einiges aus. Den Spitznamen «Wook» verdankte er nicht nur seiner dichten, unbändigen Mähne und dem buschigen Spitzbart, den er trug.
Doch das hier war etwas anderes.
Er war im Begriff wegzutreten, er blutete aus. Das wusste er. Aber es war nicht von gewöhnlichem Schmerz begleitet. Es war ein eigenartiges, weit unangenehmeres Gefühl, ein seltsamer Schmerz aus dem Inneren. Navarro hatte ihm erklärt, das sei ein viszeraler Schmerz, ein Schmerz, der von den inneren Organen selbst ausging und nicht durch das Rückenmark übertragen wurde.
Ein Schmerz, der einen von innen heraus auffraß.
Walker hatte nicht standhalten können. Er hatte Navarro erzählt, was der wissen musste. Und jetzt war er bereit zu sterben. Verdammt, es hatte keinen Sinn mehr weiterzuleben.
Nicht so.
«Worum zum Teufel geht es hier überhaupt?», brachte er kaum hörbar heraus. «Worauf sind Sie aus?»
Navarro starrte auf ihn herunter, während er sich die Hände an einem Handtuch abwischte. «Etwas, in dessen Genuss du wohl leider nie kommen wirst,
amigo.
Aber wer weiß? Vielleicht in einem späteren Leben …» Er gab das Handtuch einem seiner Handlanger, und als seine Hand wieder in Walkers Blickfeld erschien, hielt sie eine Pistole.
«Vaya con dios, cabrón.»
Ohne mit der Wimper zu zucken, setzte er die Mündung des Schalldämpfers zwischen Walkers Augen auf und drückte ab.
Navarro richtete sich auf, zog sein Jackett zurecht und strich es glatt, dann gab er dem
sicario,
der ihm am nächsten stand, die Pistole zurück.
«Geh, bring unseren Gast raus», befahl er auf Spanisch. «Und dann machen wir uns auf die Suche
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