Memoria
erfüllen würde – so, wie die andere Partei sich darauf verlassen konnte, dass er keinen Humor dafür hätte, übers Ohr gehauen zu werden.
Lina nahm ihren Lippenstift und die Puderdose aus der Handtasche und ließ in derselben einstudierten Bewegung zugleich das Kokain in einem Seitenfach verschwinden, wo es niemand zufällig sehen konnte.
Während die Kellnerin die Getränke servierte, fuhr Lina sich mit dem Lippenstift über die blassen Lippen, steckte ihn und die Puderdose wieder ein, dann zog sie ein gefaltetes Blatt von einem gelben Schreibblock hervor und strich es vor sich auf dem Tisch glatt.
«Hazel Lustig. Geboren am 18 . Juli 1947 . Schwester von Eileen Chaykin, geborene Lustig. Ledig, keine Kinder. Keine Strafverfahren anhängig. Keine Verkehrsdelikte. Steuerlich alles in Ordnung. 1971 Zulassung als Tierärztin für Pferde. Ab 1985 eigene Praxis in New Jersey mit Schwerpunkt auf Rennpferden. 1998 verkaufte sie ihre Praxis und setzte sich in Cochise County, Arizona, zur Ruhe, wo sie eine Ranch mit gut hundertzwanzig Hektar Land besitzt und etwa vierzig pensionierte Rennpferde versorgt. Die Ranch ist nicht für den Publikumsverkehr geöffnet. Zwei Bankkonten, beide in den schwarzen Zahlen. Eins sogar mit einem beträchtlichen Guthaben.»
Lina schob das Blatt über den Tisch.
«Telefonnummer?», fragte Perrini, nachdem er seinen Milchshake in einem langen Zug halb ausgetrunken hatte.
«Die Festnetznummer steht da. Ein Handy besitzt sie nicht. Ich habe auch das Handynetz in der Gegend überprüft, wie Sie es gefordert hatten. Man hat da bestenfalls sporadisch Empfang. Es gibt seit längerem Klagen von den Bewohnern der Gegend und der Presse, aber die Netzbetreiber schert es nicht.» Sie trank einen Schluck von ihrer Sprite light, während Perrini die Seite überflog. «Sonst noch was?»
Perrini faltete das Blatt zusammen und steckte es ein. «Im Augenblick nicht, aber das könnte sich ändern. Ich melde mich wieder. Wie immer.»
«Da ist noch etwas, das Sie wissen sollten. Zurzeit werden gerade die ungenutzten Accounts für die zentrale Datenbank bereinigt. Wenn sie die alle löschen, werde ich ein gefälschtes Log-in anlegen müssen.»
«Mach, was du willst, solange du mich da raushältst.» Perrini warf Lina einen eisigen Blick zu. Einen Sekundenbruchteil später kehrte das Lächeln zurück, mit dem er sie begrüßt hatte.
«Ich gehe jetzt besser wieder an die Arbeit. Hab noch einen ganzen Berg Fälle einzugeben.» Sie nahm ihre Handtasche von dem Hocker und wandte sich zum Gehen.
«Viel Vergnügen mit dem kleinen Präsent», sagte Perrini und wies auf die Handtasche. «Du weißt ja, es gibt immer reichlich Nachschub zu verdienen.»
Er zwinkerte ihr zu, dann senkte er den Blick auf seinen Milchshake und trank ihn bis auf den Schaum aus.
Als er wieder aufsah, war sie bereits zur Tür hinaus.
Zwanzig Minuten später saß Perrini wieder in seinem Wagen gegenüber dem Tompkins Square. Er hatte verschiedene Herangehensweisen in Gedanken durchgespielt und sich letztendlich für eine entschieden, die im Allgemeinen Wunder wirkte: an die Eitelkeit einer Person zu appellieren, wenn auch nur indirekt.
Er zog sein Wegwerf-Handy hervor und wählte die Nummer von Hazel Lustig. Sie meldete sich nach dem fünften Rufzeichen.
«Hallo?»
«Hi, spreche ich mit Hazel Lustig?»
«Ja. Wer ist denn da?»
«Mein Name ist Daniel Shelton, von der Historical Novel Society. Ich habe von der Literaturagentur Friedstein and Bellingham erfahren, dass Miss Chaykin sich zurzeit bei Ihnen aufhält, ist das richtig?»
Zwar konnte er nur vermuten, dass Chaykin ihrem Agenten die Nummer ihrer Tante hinterlassen hatte, aber wenn sie sich für einen Monat dort aufhielt und der Handyempfang schlecht war, standen die Chancen gut, dass sie es getan hatte.
«Ich fürchte, sie ist nicht hier. Kann ich ihr etwas ausrichten?»
Sie klang abwehrend. Beschützend. Aber jetzt war es zu spät, die Strategie zu wechseln.
«Ach, das ist aber schade. Wir veröffentlichen gerade eine Rezension über ihr neues Buch und – nun, es ist das reinste Loblied. Ich habe den Text gerade reinbekommen, der Rezensent ist ganz begeistert. Und da dachte ich, es wäre toll, zusammen mit der Rezension auch ein Interview zu drucken, einen kleinen Artikel über die Autorin. Ich habe hier nur gerade alle Hände voll zu tun, viele Mitarbeiter sind in Urlaub, und die Deadline steht kurz bevor. Wissen Sie denn, wann Miss Chaykin zurück sein wird? Wir
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