Memoria
dann wandte sie sich an Alex. «Was meinst du, wollen wir reingehen?»
Er rannte bereits voraus.
Der runde Museumsbau bestand aus einem äußeren Ring, in dem dicht an dicht Luftfahrzeuge jeder Form und Größe ausgestellt waren, und einem Pavillon in der Mitte. Das Prachtstück der ganzen Ausstellung war ein riesiges Wasserflugzeug aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Alex hatte Tess erzählt, dass er schon früher in dem Museum gewesen war, aber er hatte noch keinen der 3 D-animierten Filme gesehen, die im Zable Theater liefen. Die Filme waren zusätzlich mit physikalischen Effekten versehen, sodass irgendein Werbemensch auf die Idee gekommen war, sie ‹ 4 D› zu nennen, auch wenn streng genommen alle 3 D-Filme bereits in einem Einstein’schen vierdimensionalen Multiversum liefen.
Sie wanderten zwischen den Ausstellungsstücken umher. Alex lief strahlend vor Begeisterung voraus und zeigte aufgeregt mal auf dieses, mal auf jenes Flugzeug. Im Gebäude herrschte ebensolches Getümmel wie draußen, und Jules ertappte sich dabei, wie sie unbewusst die Menschen in ihrer Umgebung musterte. Es war ein ganz gemischtes Volk, Familien und Paare, Einheimische und Ausländer, Alte und Junge, ein breiter Querschnitt der Bevölkerung, versammelt um dieses herausragende Beispiel der menschlichen Genialität, den uralten Wunsch zu fliegen wahr zu machen.
Sie waren etwa eine halbe Stunde dort und warteten gerade in der Schlange vor dem kleinen Kino, als Jules ein Mann auffiel, ein Latino mit dunkel olivfarbener Haut, bekleidet mit Jeans, Windjacke und Cowboystiefeln. Jules bemerkte, dass von seinem Ohr das Kabel einer Handy-Freisprecheinrichtung ausging, und sie sah, dass der Mann ins Mikrophon sprach. Sie wusste selbst nicht recht, warum ihr Blick an ihm hängen blieb. Etwas an ihm erschien ihr seltsam, aber sie konnte es nicht benennen. Er wirkte einfach fehl am Platz. Wie ein Tourist sah er jedenfalls nicht aus. Er schien sich in dieser Umgebung unwohl zu fühlen, als sei er nicht wirklich hergekommen, um sich die Flugzeuge anzusehen. Doch nachdem sie ihn ein paar Sekunden lang beobachtet hatte, entschied Jules, dass sie sich zu viele Gedanken machte. Er hatte nicht ein einziges Mal zu ihnen herübergeschaut. Wahrscheinlich hatte er nur gerade einen beruflichen Anruf bekommen, oder seine neue Freundin hatte ihn genötigt, mit ihr und ihrem Kind diesen Ausflug zu machen, obwohl er eigentlich gar keine Lust dazu hatte. Was auch immer für eine Geschichte dahintersteckte, Jules nahm sich vor, ihn nicht weiter zu beachten.
Sie schalt sich selbst für ihr Misstrauen. Wieder einmal ein Zeichen, dass sie sich nie wirklich entspannen konnte. Sie machte diesen Job einfach schon zu lange, sie war ständig innerlich in Alarmbereitschaft. Sie stellte sich vor, wie ihre Freundinnen jetzt die Augen verdreht hätten, aber Tatsache war, dass sie ihre Arbeit als FBI -Agentin liebte. Vor allem ihre beste Freundin, die am College ihre Zimmergenossin gewesen war, redete ihr immer wieder zu, sie solle doch heiraten und eine Familie gründen, aber Jules lachte über ihre Sticheleien ebenso wie über ihre guten Ratschläge. Sie versprach zu versuchen, lockerer zu werden und das Leben mehr zu genießen, aber ihnen beiden war klar, dass das leere Worte waren.
In der Warteschlange ging es voran, und als Jules den Vorführraum betrat, sah sie sich rasch nach den Ausgängen um. Abgesehen vom Haupteingang gab es an der Rückwand des kleinen Raumes mit nur sechsunddreißig Sitzen noch zwei Türen, die zum Informationszentrum führten. Gleich darauf wurde ihr bewusst, dass sie rein aus Instinkt darauf geachtet hatte.
Selbst bei einem Vergnügungsausflug mit einem Vierjährigen konnte sie ihren Job nicht vergessen.
Sie sah, wie Tess und Alex ihre 3 D-Brillen aufsetzten und Platz nahmen, um ins
Jet Pack Adventure
einzutauchen. Jules beschloss, draußen auf die beiden zu warten und inzwischen per Smartphone die neuesten Entwicklungen zum Fall abzurufen. Eine Sekunde lang überlegte sie sogar, den Flugsimulator auszuprobieren – sie hatte viele Simulationsflüge mit Hubschraubern und kleinen Flugzeugen absolviert, aber noch nie mit einem F- 18 -Kampfjet –, aber dann ging der Vibrationsalarm ihres Handys los.
Sie warf einen Blick auf das Display, es war Reilly. Wahrscheinlich rief er an, um sich nach seinem Sohn zu erkundigen.
«Wo sind Sie gerade?»
Er klang beunruhigt.
Während sie seine Frage beantwortete, spannte sie sich an und überblickte
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