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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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für vier, fünf Tage kommen sollte.
    Leif hatte Kristina zur Hilfe bekommen. Nicht, dass das notwendig war, eher war es so, dass Kristina für ein paar Wochen ein wenig Halt brauchte. Sie stand nach einer weiteren gescheiterten Liebesbeziehung ohne Wohnung da, es war lange bevor Jakob Willnius ins Bild trat.
    Zu dieser Mittsommernacht war Ebba den ganzen Weg von Sundsvall gefahren. Hatte die Nachtfähre über den Skagerrak zwischen Varberg und Grenå genommen. Erreichte das Haus, ziemlich weit unten am Nordseestrand, kurz vor Ringköbing, frühmorgens. Alle schliefen noch, es war ja auch erst sechs Uhr. Es war ein großes Haus, das sich hübsch in die Dünenlandschaft einfügte, es war ihr von dem Arzt, dem es gehörte, nur beschrieben worden, und von Leif am Telefon, und es dauerte eine Weile, bis sie sich zurechtfand. Sie tappte von Raum zu Raum, treppauf, treppab, und fand schließlich ihre Familie schlafend in einem gigantischen Doppelzimmer unter einem breiten Dachfenster in der Dachetage. Alle vier: ihren Ehemann Leif, ihre Schwester Kristina, ihre Söhne Henrik und Kristoffer. Die Jungs lagen in der Mitte, Kristina und Leif jeweils auf einer Außenseite, und dieses Bild, diese Anordnung, hatte etwas, das ihr Herz stolpern ließ. Alle vier lagen in der gleichen Richtung, wie Teelöffel in einer Küchenschublade, Leif ganz hinten, die Decke lag zusammengeknüllt zu ihren Füßen, sie konnte die schlafenden Körper beobachten, die Jungs in kurzen Hosen, ihr Supermarktleiter im Pyjama, Kristina in Unterhose und T-Shirt, und wie sie alle ihren Nachbarn leicht berührten, aber nur leicht, im Schlaf – und das Ganze strahlte so eine tiefe Harmonie und so eine Sicherheit aus, dass etwas in ihrem Hals anschwoll. Es war wie ein Gemälde, ein idyllisches Bild der glücklichen Familie.
    Sie blieb davor stehen und musste immer wieder schlucken, doch die Fragen, die sie zu unterdrücken versuchte, tauchten immer wieder auf: Warum liege ich nicht auch dort? Wie kommt es, dass ich und Leif nie – niemals – in dieser Form mit den Jungen geschlafen haben? Warum stehe ich hier?
    Oder: Warum bin ich diejenige, die hier steht?
    Sie weckte sie nicht. Schlich sich die Treppe hinunter, fand ein Bett in einem anderen Zimmer und kroch unter eine Decke. Vier Stunden später wurde sie von Leif geweckt, der mit einer Tasse Kaffee und einem Kopenhagener hereinkam. Er schaute sie ein wenig verwundert an und fragte, ob sie eine Allergie bekommen habe, sie behauptete, es müsse an irgendwelchen Pollen in der Luft liegen, sie habe während der Fahrt ein ganzes Päckchen Papiertaschentücher verbraucht.
    Nein, zur Heilung war diese Erinnerung wahrlich nicht geeignet.

27
    Die Frau war klein und rötlich.
    Gunnar Barbarotti hatte kurz die Assoziation einer Marathonläuferin. Dünn wie eine Weidenrute, nicht ein Gramm Fett zu viel am Körper, saß sie kerzengerade auf dem Stuhl, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet. Der Blick ihrer grünen Augen war offen und wachsam.
    Fünfunddreißig, schätzte er. Willensstark, hat sicher schon so einiges durchgemacht.
    Er nickte ihr zu. Sie stand auf, und sie schüttelten die Hände. Erst er, dann Eva Backman. Anwärter Tillgren schloss die Tür hinter ihrem Rücken.
    »Lassen Sie uns damit anfangen, dass Sie sich uns ein wenig vorstellen«, schlug er vor. »Ich heiße wie gesagt Gunnar Barbarotti, und das hier ist meine Kollegin Eva Backman.«
    Sie setzten sich. Eva Backman stellte das Aufnahmegerät an und übernahm die Formalitäten. Gab der Frau ein Zeichen, dass sie anfangen könne.
    »Ich heiße Linda Eriksson. Ich wohne in Göteborg.«
    Eva Backman streckte einen Daumen in die Luft als Zeichen, dass die Aufnahme funktionierte.
    »Ich arbeite als Krankengymnastin im Sahlgrenschen Krankenhaus. Ich bin vierunddreißig Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder … genügt das?«
    »Das genügt«, bestätigte Gunnar Barbarotti. »Können Sie uns berichten, warum Sie hier sind?«
    Sie räusperte sich und nahm Anlauf.
    »Ich bin hier, weil ich eine Schwester habe«, begann sie. »Oder besser gesagt, eine Schwester hatte. Jane, sie hieß Jane … wir hießen Andersson als Kinder, aber als sie geheiratet hat, hat sie den Namen Almgren angenommen. Ich weiß nicht so recht, wie ich … hm. Entschuldigen Sie.«
    »Trinken Sie einen Schluck Wasser«, sagte Eva Backman.
    »Ja, danke.«
    Sie goss sich Ramlösa ins Glas und nahm einen Schluck. Seufzte und faltete wieder die Hände. »Ja, meine Schwester

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