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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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als er den Wecker am Handy stellte. Es hatte in der Nacht nicht geklingelt – oder aber er hatte ihn ausgeschaltet, ohne wach zu werden. So etwas war schon früher passiert. Auf jeden Fall hatte er mit dem Pinchmann noch keinen Schuss abgefeuert. Er hatte nur ein paar Mal mit leerem Magazin abgedrückt, aber mein Gott, dachte er, natürlich funktioniert das genauso gut mit einem Schuss im Lauf. Er glaubte nicht, dass sich ihm eine Gelegenheit bieten würde, irgendwo draußen in Gamla Enskede Probe zu schießen, bevor es Zeit für den Ernstfall war. Das Risiko, entdeckt zu werden, war einfach zu groß, es wohnten fast eine Million Menschen an diesem Ort.
    Er kaufte sich ein Päckchen Prince im Zeitungskiosk und trat dann hinaus in die nasskalte Dezemberdämmerung. Der Schneefall war nicht mehr so heftig, hatte aber noch nicht aufgehört.
    Nun gut, dachte er. Jetzt gilt es, ein wenig Zeit totzuschlagen, bevor ich tatsächlich jemanden totschlage.
     
    Als Kristina Hermansson das Royal Viking verließ, war es ein paar Minuten nach drei, und sie wusste nicht, was sie glauben sollte.
    Aber etwas spürte sie. Ihr eigener psychischer Kollaps war nicht mehr weit entfernt. Wie hieß er noch, dieser Almodóvar-Film, der vor ein paar Jahren gelaufen war? Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs? Sie hatte ihn nie gesehen, aber so fühlte sie sich zumindest im Augenblick. Am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie bestieg ein Taxi am Centralplan, nannte ihre Adresse draußen in Enskede und begann zu weinen. Der Fahrer, ein irakischer Einwanderer um die Fünfzig, betrachtete sie einen Augenblick lang mitleidig im Rückspiegel, sagte aber nichts. Nickte nur freundlich und konzentrierte sich dann aufs Fahren.
    Der Anfall ging nach einer halben Minute vorbei. Sie zog zwei Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche, putzte sich mit einem die Nase, wischte sich mit dem anderen die Tränen ab. Lehnte den Kopf gegen die kühle Nackenstütze und versuchte sich das Gespräch wieder ins Gedächtnis zu rufen – und zu verstehen, was eigentlich gesagt worden war.
    Offen und zwischen den Zeilen.
    Er hatte so vorsichtig angefangen. Sich fast entschuldigt.
    »Ich wollte nicht so schroff am Telefon klingen.«
    Sie hatte ihm erklärt, dass das nicht schlimm war. Sie hatte sowieso noch etwas in der Stadt zu erledigen. Eine schwindelerregende Sekunde lang stellte sie sich vor, dass er gar nicht von der Polizei war, sondern ihr heimlicher Liebhaber. Dass sie erst etwas trinken wollten und dann in ein Zimmer im achten Stock gehen, sich dort einschließen und zwei Tage lang lieben. Oder mindestens zwei Stunden lang. Dann fiel ihr Blick auf ihren Bauch und ihre rauen Hände, und sie kam wieder in der Wirklichkeit an.
    »Es fällt mir schwer, die Ermittlungen ganz fallen zu lassen«, sagte er. »Das passiert manchmal in meinem Geschäft.«
    Sie behauptete, ihn zu verstehen. Ein Kellner kam vorbei, und beide bestellten sich ein Selters.
    »Ich fand es schon von Anfang an merkwürdig«, erklärte er. »Wir sind ja ziemlich lange zunächst davon ausgegangen, dass Walter Hermanssons und Henrik Grundts Verschwinden miteinander zu tun haben könnten.«
    »Das klingt logisch. Ich meine, dass Sie davon ausgegangen sind.«
    »Ja, sicher. Aber nachdem sich herausgestellt hat, dass dem nicht so ist, hat sich die Lage natürlich verändert.«
    Sie räusperte sich verhalten.
    »Sind Sie sicher, dass es sich nicht so verhält?«
    »Wie?«
    »Dass Walters Tod und Henriks Verschwinden nichts miteinander zu tun haben?«
    Da kamen die Seltersflaschen auf den Tisch, und er fummelte umständlich an ihnen herum, bevor er antwortete. Schenkte sich ein und trank. Stellte das Glas wieder ab. Faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und betrachtete sie mit einer Miene, die sie nicht deuten konnte. Auf jeden Fall war es nicht der Blick eines Liebhabers. Eine Welle der Unlust durchfuhr sie.
    »Ja«, sagte er dann. »Dessen sind wir uns ziemlich sicher. Sind Sie denn anderer Meinung?«
    »Ich?« Sie spürte, wie ihre Stimme ein paar Töne zu hoch landete. »Ich habe dazu gar keine Meinung.«
    Er blieb ein paar Sekunden schweigend sitzen und schien ihre Antwort abzuwägen.
    »Ein anderer Aspekt kommt und geht immer wieder«, sagte er dann, »man könnte ihn als den Familienaspekt bezeichnen.«
    »Familien…?«
    »Egal. Wir haben natürlich in den verschiedenen Phasen der Ermittlungen immer wieder darüber diskutiert, aber vielleicht … ja, vielleicht hat er ein wenig neue

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