Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
einsetzenden Halsentzündung. Dieser Tag wird nie enden, dachte sie.
Um elf Uhr trafen acht Kollegen von der Kymlinge-Schule ein. Leif war aus dem ersten Stock heruntergekommen, Walter und die Jungs jedoch nicht. Und auch von Kristina, Jakob und Kelvin hatte man nichts gehört; Rosemarie nahm an, dass sie einen ausgedehnten Vormittag im Hotel genossen, und wenn sie es recht überlegte, war ihr das auch egal.
Unter den Kollegen befand sich die Possenreißerin und Mathematiklehrerin Rigmor Petrén, die genauso alt war wie Rosemarie, ihr waren beide Brüste amputiert worden, aber sie war still going strong. Vor fünfundzwanzig Jahren oder so hatte sie Ebba in Mathematik unterrichtet (ein Schuljahr lang auch in Physik), und jetzt hatte sie ein neues, witziges Lied komponiert, das sich sowohl an Karl-Erik als auch an seine prächtige Tochter richtete.
Es enthielt vierundzwanzig Verse, und während es achtstimmig vorgetragen wurde, widmete Rosemarie ihre Gedanken zwei Dingen: Zum einen stellte sie sich einen Marathonlauf unter Wasser im Dunkeln vor, das war ein neues, und in gewisser Weise interessantes Bild vom Leben; zum anderen hatte sie den Eindruck, als stimme etwas nicht mit Karl-Eriks Gesicht. Er sah nicht aus wie sonst, wie er da kerzengerade auf einem Küchenstuhl saß und lachte, dass die Kiefer erbleichten.
Aber vielleicht sollte man einfach alles auch nur unter diesem Aspekt betrachten, dachte sie. Als eine Frage des Erduldens. Rigmor Petrén gehörte zu den Lehrern, die immer und zu jeder Zeit ihren Unterricht gaben. Jahr für Jahr. Nicht einmal der Krebs bekam sie zu packen. Ihr Humor legte alles, was ihr in den Weg kam, in Schutt und Asche. Leif Grundt huschte bei Strophe sieben hinaus zur Toilette und kam zurück bei Strophe neunzehn.
Als das Lied beendet war, ging man ins Wohnzimmer und trank neunundzwanzig Tassen Kaffee, aß den Rest der Cousin/ Cousinentorte auf und zwei Drittel der nächsten. Supermarktleiter Grundt unterhielt mit einer amüsanten Vergleichsstudie über die Schinkenpreise vor Weihnachten. Rosemaries Halsschmerzen schlugen jetzt voll aus.
Dann hielt Studienrat Arne Barkman eine gefühlvolle Rede über Karl-Erik. Ungefähr in der Mitte war er gezwungen, abzubrechen und die starke Rührung wegzuschneuzen, von der er in so einem Augenblick übermannt wurde, ob er nun wollte oder nicht. Er und Karl-Erik hatten fast dreißig Jahre im Lehrerzimmer Seite an Seite gesessen, und Arne fragte sich jetzt, ob es überhaupt möglich war, im Januar wieder an seinen Schreibtisch in der Kymlinge-Schule zurückzukehren. Der Leerraum, den Karl-Erik hinterließ, war nicht in Worte zu fassen, wie er behauptete. Deshalb wollte er es gar nicht erst versuchen. Danke, Karl-Erik, das war alles, was er sagen wollte. Danke für alles. Danke, danke, danke.
»Danke, Arne«, sagte Karl-Erik emsig und gab seinem Kameraden einen Stoß in den Rücken, dass das Taschentuch wieder herausgeholt werden musste.
Zwei Blumensträuße, ein größerer gelblicher und ein kleinerer rötlicher, waren bereits bei der Ankunft überreicht worden, doch jetzt war es Zeit für die Geschenke. Zuerst ein Buch von Richard Fuchs für Ebba, schließlich war sie trotz allem Ärztin und konnte sicher einen guten Lacher gebrauchen. Dann sieben Gaben für Karl-Erik, die Anzahl symbolisierte die Musen oder die Grazien oder die Tugenden oder welche Sieben man nun zu schätzen wusste, haha, und alle mit deutlichem Hinweis auf das Iberische.
Ein Stierkopf aus Bronze von gut einem Kilo. Ein Rioja Gran Reserva von 1972. Ein sechshundertseitiges Bildwerk über die Alhambra. Ein Tapas-Kochbuch. Eine spanische Reiseschilderung von Cees Nooteboom. Ein Paar Kastagnetten aus Edelholz. Eine CD mit dem Gitarristen José Muñoz Coca.
»Ich bin gerührt«, musste Karl-Erik Hermansson zugeben.
»Das ist doch viel zu viel«, sagte Rosemarie.
»Das ist natürlich auch zum Teil für dich, liebe Rosemarie«, erklärte Ruth Immerström, Sozialkunde, Religion und Geschichte. »Ja, ihr hinterlasst wirklich eine Lücke, genau wie Arne gesagt hat.«
Die Kollegen traten gesammelt kurz vor ein Uhr den Rückzug an. Rosemarie stellte alle Geschenke auf die Eichenkommode unter das Bild, das die Schlacht bei Gestilren darstellte, und Ebba begab sich unmittelbar ins Obergeschoss, um Fahrt in ihre beiden Söhne und ihren Bruder zu bringen.
»Walter ist nicht da«, stellte sie fest, als sie zehn Minuten später wieder in die Küche kam, um ihrer Mutter beim
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