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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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Rede an Walter noch einmal durchgehen, während er dort saß.
    Er hatte sie bereits seit mehr als einem Monat im Kopf. Die Worte, die Formulierungen, die sorgsam abgewogenen Pausen. Es sollte ein … eine Art pädagogisches Meisterstück werden. In der Kürze zeigt sich der Meister. Walter würde schweigend dasitzen. Die Worte seines Vaters sollten sich zielsicher und entschlossen in ihn hineinbohren. Wie Zecken in einen zotteligen Hund, das hatte er irgendwo gelesen. Walter sollte begreifen, was er getan hatte. Er sollte es bitter bereuen, doch das würde nichts nützen. Er würde seinen Vater ansehen und begreifen, dass man für so etwas nicht um Verzeihung bitten konnte. Allein Schweigen und Vergessen konnten mit der Zeit einen Schleier über das legen, was gewesen war. Einen Schleier und Balsam. Ich hatte nur einen Sohn, Walter, wollte er sagen … Kunstpause … und ich habe immer noch nur einen Sohn. Das ist mein Los. Deine Mutter hat ziemlich gelitten, Walter, ich habe mehrere Male um ihr Leben gebangt. Nein, Verstand war besser. Um ihren Verstand gebangt. Du solltest dich schämen, und zwar ganz allein du, Walter, aber die Schande fällt auch auf deine Familie. Nein, du brauchst gar nichts zu sagen. Worte sind nach solchen Taten nur Schall und Rauch. Du solltest wissen, dass Schulleiter Fläskbergson deine Mutter und mich für den Rest des Schuljahres beurlauben wollte – aus Rücksicht auf uns -, aber wir haben es durchgestanden. Mit aufrechtem Rücken gingen wir zu unserer Arbeit, mit aufrechtem Rücken sahen wir unseren Arbeitskollegen in die Augen. Ich möchte, dass du das weißt, Walter. Wir werden das Land im Frühling verlassen, aber wir tun es erhobenen Hauptes. Ich möchte, dass du das weißt und nicht vergisst.
    Er blieb noch sitzen und kaute an den Worten, obwohl es schon seit einer ganzen Weile aufgehört hatte zu tropfen. Anschließend stand er auf, zog die Pyjamahose hoch und spülte. Wusch sich die Hände und schaute in den Spiegel. Es war etwas mit seinem rechten Auge passiert, oder? Es war nicht auszumachen, was, aber es sah anders aus als sonst. Das Augenlid hing einen Millimeter tiefer als üblich. Oder war das nur Einbildung?
    Er spritzte sich kaltes Wasser auf beide Augen und kontrollierte es noch einmal. Jetzt sahen beide ganz normal aus.
    Natürlich, reine Einbildung.
    Es war fünf vor vier. Er ging zurück ins Schlafzimmer, kroch ins Bett neben seine Ehefrau. Das leise Sausen der Heizung war immer noch zu hören. Das Schloss von Örebro hatte sich nicht gerührt.
    Ich muss versuchen, wieder einzuschlafen, dachte er. Schließlich habe ich einen langen Tag vor mir.
     
    Als Allererstes traf eine kleine Familienabordnung gegen neun Uhr ein. Es waren Karl-Eriks Cousin und Cousine aus Göteborg jeweils mit Ehegatten, der Weg führte sie sowieso vorbei, deshalb hatten sie beschlossen, an dem großen Tag für eine Stunde hereinzuschauen.
    Eine halbe Torte und zwölf Tassen Kaffee gingen dabei drauf. Weder Walter noch Leif oder die Jungen waren aufgestanden (oder hatten zumindest Geistesgegenwart genug, sich im ersten Stock aufzuhalten); man saß in der Küche, die vier Vorbeifahrenden, die beiden Geburtstagskinder, Rosemarie sowie ein mitgebrachter Boxerwelpe, der Silly hieß und dreimal unter den Tisch pinkelte.
    Das Gespräch verlief zäh und kreiste hauptsächlich um einen gemeinsamen, nach Amerika ausgewanderten Verwandten (Gunvald, 1947), die desolate Rentenlage sowie all die netten Menschen, die man kennen lernte, wenn man sich einen Hund anschaffte.
    Die Fernsehserie »Die Gefangenen auf Koh Fuk« wurde nebenbei und nur aus Versehen erwähnt, der Faden aber nicht aufgenommen.
    Nach verrichteter Arbeit reiste die Familienabordnung in zwei haargenau gleichen, metallicfarbenen kleinen Autos wieder ab, das eine weiß, das andere grauweiß, so ungefähr Viertel nach zehn. Die zurückgelassenen Geschenke: ein größeres gerahmtes Kunstwerk (100 x 70 cm) in Gestalt eines Meeresmotivs aus genoppter Wolle sowie ein kleineres, gerahmtes Strandmotiv (70 x 40) in genoppter Wolle. Der Künstler hieß Ingelund Sägebrandt, Rosemarie war sich nicht sicher, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Nach Rücksprache mit Ebba beschloss sie, die Bilder bis auf weiteres in der Garage zu verwahren.
    Als diese Wegräumaktion beendet war, ging sie hinaus und hob den Deckel des leeren Briefkastens an. Es hatte angefangen zu schneien, und sie spürte bereits die charakteristischen Zeichen einer

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