Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
nicht unter der Rubrik Vermisst bleiben, davon war er fest überzeugt. Besonders Frau Hermansson hatte ihn in dieser Beziehung eindringlich um Hilfe gebeten, aber er hatte ihr natürlich keinerlei Garantie geben können. Denn der Witz bei der Suche nach verschwundenen Personen war ja gerade, dass die Allgemeinheit informiert werden sollte, und wenn die Allgemeinheit informiert wurde, dann war es natürlich unmöglich, die Boulevardpresse außen vor zu lassen.
Unmöglich und vielleicht auch überhaupt nicht erwünscht, wie er zu erklären versucht hatte. Normalerweise jedenfalls. Wie man die Sache auch drehte und wendete, so war es schwierig, den Massenmedien eine gewisse Existenzberechtigung abzusprechen. Man musste Gutes und Schlechtes in Kauf nehmen.
So hatte Gunnar Barbarotti argumentiert. Frau Hermansson hatte sich damit zufriedengegeben, ihr Ehemann auch, der wenigstens hoffte, dass diese erbärmlichen Dokusoap-Schmierfinken in der königlichen Hauptstadt nicht den gleichen Spitznamen für Walter benutzten, wie sie es beim letzten Mal getan hatten. Außerdem hoffte er, dass sie sich etwas zu schade dafür waren, einen Tag vor Heiligabend in die Provinz zu fahren. Wo man doch das Fernsehprogramm des ganzen Wochenendes einschließlich Arne Weise analysieren musste.
Aber, wie gesagt, mehr als ein frommer Wunsch war es nicht. Und hatte Herr Weise nicht vor ein paar Jahren aufgehört? Oder war er gestorben? Bei bestimmten Dingen spürte Inspektor Barbarotti, dass er schrecklich schlecht unterrichtet war. Eher auf der Stufe des Wolfs als des Handys stand sozusagen.
Er las die Zeitung zu Ende und ging dazu über, den Tag zu planen. Was tun? Er sah die Liste durch, die er am Abend zuvor geschrieben hatte, und beschloss, den erneuten Besuch in der Allvädersgatan auf den Nachmittag zu verschieben. Besser, ihnen ein wenig Zeit zu geben und stattdessen zu versuchen, den Kontakt mit der bisher nicht gesprochenen Schwester in Stockholm aufzunehmen. Außerdem das Revier anzurufen und sich zu vergewissern, dass sie auch nicht vergaßen, ihn zu informieren, wenn irgendwelche Hinweise hereinkamen. Das sollten sie eigentlich von sich aus tun, aber man konnte ja nie wissen. Wenn Jonsson am Telefon saß, konnte es um Stunden und Tage verzögert werden, das wusste er aus Erfahrung. Insbesondere jetzt noch mit dem Weihnachtsfest und so.
Er erreichte Sorgsen. Nein, es waren noch keine Hinweise eingegangen, erklärte er. Nicht einmal von dem alten Hörtnagel, der, was das betraf, ein notorischer Anrufer war. Während der U-Boot-Affäre in Härsfjärden hatte er mehrere Male von einem Periskop im Bach von Kymlinge berichtet, und sobald jemand irgendwo im Land geflohen war, entdeckte Hörtnagel ihn garantiert. Er war Österreicher und überzeugt davon, einen sehr viel besseren Überblick über die Lage der Dinge zu haben als die einfachen Schweden mit ihrem alten, zähen Bauernblut in den Adern.
»Vielleicht ist er ja im Herbst gestorben?«, schlug Gunnar Barbarotti vor. Er hatte schon die Frage auf der Zunge, ob Sorgsen vielleicht wusste, ob Arne Weise noch am Leben war, hielt sich aber gerade noch zurück.
»Das glaube ich nicht«, antwortete Sorgsen tonlos. »Letzte Woche ist er siebenundachtzig geworden, ich habe ihn vor einer Stunde auf Skiern im Stadtpark gesehen.«
Barbarotti schaute erneut aus dem Fenster. Vielleicht sollte man eine Runde drehen?, dachte er. Sauerstoff tanken und so weiter und so fort. »Wäre gut, wenn ich gleich informiert werde, sobald etwas hereinkommt«, sagte er.
Sorgsen versprach sich darum zu kümmern. Er versprach außerdem, sich um den Handyverkehr zu kümmern, wie erwartet hatte er bereits beide betreffenden Nummern notiert, und dann beendeten sie das Gespräch. Gunnar Barbarotti blieb noch eine Weile im Bett liegen und versuchte sich zu erinnern, ob er überhaupt noch ein Paar Skier besaß, kam aber zu keinem Ergebnis. Wahrscheinlich waren sie im Zusammenhang mit der Trennung von Helena verschwunden. Wie so vieles andere.
Er stand auf und stellte sich unter die Dusche. Es war höchste Zeit, den Arbeitstag zu beginnen.
»Kristina Hermansson?«
»Ja.«
»Mein Name ist Gunnar Barbarotti. Ich arbeite als Inspektor in Kymlinge.«
»Ja, bitte?«
»Es geht natürlich um Ihren Bruder und Ihren Neffen, die beide verschwunden sind. Haben Sie gerade Zeit, mit mir zu sprechen?«
»Ja … ja, natürlich.«
Sie klang verhalten und traurig. Er konnte sie kaum hören, nahm an, dass sie mit einem
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