Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Gesellschaft, die meiste Zeit, indem er auf dem winzigen Balkon zum Hof hin stand und rauchte.
Als sie die Wohnung verlassen und die Tür wieder verschlossen hatten – mit Hilfe des nur mäßig begeisterten Hausmeisters -, nahm Gunnar Barbarotti zwei Dinge in seiner Aktentasche mit. Zum einen ein Adressbuch, das er zwischen einer Packung Spaghetti und einer Teekanne auf einem Regal in der Küche gefunden hatte, und zum anderen eine Art Notizblock, der neben dem Telefon auf dem Nachttisch im Schlafzimmer gelegen hatte. Beide in Verwahrung genommenen Dinge enthielten ein Durcheinander von hingekritzelten Namen und Telefonnummern, und er freute sich nicht gerade darauf, sich hinzusetzen und sie durchzuarbeiten. Das erwähnte Romanmanuskript – Mensch ohne Hund, wie der Arbeitstitel wohl hieß – hatte sich in zwei Stapeln auf einem unordentlichen Schreibtisch befunden, Barbarotti hatte einen Blick darauf geworfen und beschlossen, es bis auf weiteres in Frieden ruhen zu lassen. Sechshundertfünfzig Seiten waren nun einmal sechshundertfünfzig Seiten …
Es war Viertel vor sieben, als er wieder in seinem Zimmer im Hotel Terminus war, und nachdem er zu Hause angerufen und sich vergewissert hatte, dass Sara keine Not litt, beschloss er, genau zwei Stunden zu arbeiten, nicht eine Minute länger. Anschließend wollte er die Vasagatan überqueren, zwei dunkle Biere in der Bahnhofskneipe trinken und die Eindrücke des Tages verdauen.
Und genauso machte er es.
21
Beim Frühstück ließ Sorgsen von sich hören.
»Er hat in der Nacht einmal angerufen.«
»Wen?«
»Wir haben die Telefonliste bekommen. Walter Hermansson hat Montagnacht um 01.48 ein Telefongespräch geführt.«
»Mit wem?«
»Das wissen wir nicht.«
»Natürlich wissen wir das. Die Nummer muss doch gespeichert sein …«
»Er hat ein anderes Handy mit Prepaid-Karte angerufen. Wir haben die Nummer, wissen aber nicht, wem sie gehört. Du weißt doch, wie das ist.«
»Verflucht noch mal.«
»Kann man wohl sagen.«
»Und Henrik? Henrik hatte doch auch ein Handy, oder?«
»Da haben wir noch nicht die Informationen. Es ist ein anderer Anbieter. Die werden wohl heute im Laufe des Tages eintrudeln.«
»Gut«, sagte Gunnar Barbarotti. »Walter Hermansson hat also ein Telefongespräch geführt mitten in der Nacht, in der er verschwunden ist. Dann wissen wir das. Und sonst noch was?«
»Im Augenblick nicht«, sagte Gerald Borgsen.
Ja und?, dachte er, als er sein eigenes Handy zurück in die Jackentasche schob. Und welche Schlussfolgerungen können wir daraus ziehen?
Überhaupt keine, so einfach war das. Und Hypothesen? Ja, schon möglich. Es gab zumindest eine höchst wahrscheinliche Vermutung: Walter Hermansson hatte beschlossen, jemanden in Kymlinge zu besuchen. Er hatte den Betreffenden angerufen – mitten in der Nacht – und gefragt, ob es in Ordnung sei, wenn er vorbeikomme. Und dann …?
Ja, dann war er entweder dorthin gegangen, oder er war woandershin gegangen. Man brauchte nur zu wählen.
Andererseits, setzte Gunnar Barbarotti seine messerscharfe Deduktionsarbeit fort und köpfte sein Vier-Minuten-Ei mit einem gezielten Schlag, andererseits hätte er ja genauso gut eine alte Freundin in Hallonbergen anrufen können. Warum nicht. Nur um eine Weile zu reden und schöne Weihnachten zu wünschen, wo man sowieso schon etwas betrunken war. Wie war das noch, konnte man nicht inzwischen auch die Adressaten derartiger Gespräche lokalisieren? Zumindest ungefähr? Oder war das nur bei laufenden Gesprächen möglich?
Ich werde Sorgsen heute Nachmittag anrufen, beschloss er. Er muss das herausfinden.Es war erst Viertel nach neun Uhr am Morgen, aber er spürte bereits eine gewisse Müdigkeit aufkommen. Nicht diese physische Müdigkeit, er hätte problemlos acht oder zehn Kilometer laufen können – zwölf draußen am Meeresstrand -, nein, es war eine psychische Müdigkeit, eine Art zäher, trostloser Stress oder wie man diesen Zustand auch bezeichnen sollte. Das Gefühl... ja, dem Übermächtigen gegenüber nicht genügen zu können. Der Übeltäter dabei war die Informationsmasse, darüber war er sich durchaus im Klaren – das heißt, die Möglichkeit moderner Zeiten, plötzlich mit unendlich vielen Informationen dazustehen, Tonnen von potentiellen und realen Informationen. So verlief die moderne Polizeiarbeit, es ging nicht darum, der Information, dieser leicht zu fangenden Beute, hinterher zujagen, es ging darum, sie zu sichten.
So könnte man
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