Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
einer halbnackten Schwarzen und einer Dartscheibe. Gunnar Barbarotti fragte sich, ob sich überhaupt etwas verändert hatte, seitdem er selbst vor fünfundzwanzig Jahren dagehockt und lauwarmes Dosenbier in einem Studentenwohnheim in Lund getrunken hatte.
Das Mädchen, das ihn empfing, hieß Linda Markovic und wohnte in einem der Zimmer. Sie war klein und schmächtig. Studierte Mathematik, ihre Eltern wohnten in Uppsala, aber sie zog es vor, zwischen den Jahren in ihrer Kammer in Triangeln zu bleiben. Sie musste lernen, und dazu brauchte sie Ruhe und Frieden. Die Mieter der anderen vier Studentenzimmer waren ausgeflogen, wie sie erzählte, und wurden erst im Januar zurückerwartet.
Sie fragte, ob er einen Kaffee wolle. Er sagte, gern, und ließ sich am Küchentisch nieder, der mit einer grauen, unverwüstlichen Resopalplatte versehen war, die vermutlich aus der gleichen Epoche stammte wie Herr Guevara.
»Henrik«, begann er. »Wie schon gesagt, geht es also um Henrik Grundt. Und ich sitze hier, weil er verschwunden zu sein scheint.«
»Verschwunden? Es gibt nur Pulverkaffee. Ist das in Ordnung?«
»Das ist in Ordnung. Ihr wohnt sozusagen Wand an Wand?«
»Ja. Ich wohne seit drei Semestern hier. Henrik wohnt zur Untermiete, es ist fast unmöglich, als Erstsemester einen Mietvertrag zu kriegen. Ja, er ist im September eingezogen.«
»Kennen Sie ihn gut?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte eine eigenartige, unzeitgemäße Frisur, wie er fand. Kurze, dunkelbraune Korkenzieherlocken, im Nacken kurz geschnitten. Aber vielleicht war er selbst auch unzeitgemäß, das war natürlich möglich. Sie goss heißes Wasser in zwei blaurote Becher, schob ihm das Kaffeepulver hin und öffnete eine Packung Kekse.
»Ich habe nicht so viel anzubieten, tut mir leid«, erklärte sie. »Aber Sie sind ja auch nicht gekommen, um sich satt zu essen, nicht wahr?«
»Stimmt«, bestätigte er. »Aber Sie kennen Henrik dann wohl nicht besonders gut?«
»Ja«, nickte sie und nahm einen Keks. »Das stimmt. Wir haben in dieser Wohnung relativ wenig miteinander zu tun, das ist ja immer verschieden. Wir sehen uns beim Frühstück und trinken abends meistens einen Tee zusammen. Mehr ist da nicht.«
»Aber Sie haben trotzdem häufiger mit ihm geredet?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, natürlich.«
»Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm?«
»Er ist nett, finde ich. Nicht so angeberisch wie andere Typen … nein, er wirkte zuverlässig, wie ich finde. Ruhig. Was ist denn mit ihm passiert?«
»Wir wissen es noch nicht. Nur, dass er verschwunden ist.«
»Wie kann denn … ich meine, ist er einfach nur verschwunden?«
»Ja.«
»Das klingt gruselig.«
»Ja. Obwohl es ja Menschen gibt, die selbst beschließen zu verschwinden. Oder sich aus irgendeinem Grund versteckt halten. Und gerade das versuche ich herauszubekommen.«
»Ob Henrik …?«
Sie hielt inne und sah ihn etwas verwirrt an. Er erwiderte ihren Blick und hatte keine Probleme, ihn zu interpretieren.
»Ich weiß, was Sie denken. Ja, es gibt auch welche, die sich das Leben nehmen. Nichts spricht dafür, dass Henrik das getan haben könnte, aber man weiß ja nie.«
»Ich kann mir nicht denken, dass er …«
Sie beendete den Satz nicht. Gunnar Barbarotti nahm einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Oberlippe.
»Gibt es andere in der Wohnung, die mehr Kontakt zu Henrik hatten?«
Wieder Kopfschütteln. Die Korkenzieherlocken tanzten. »Nein, Per und er gingen zu Beginn des Semesters wohl zu den gleichen Studententreffen, aber jetzt nicht mehr. Per ist … Per ist ein ziemlicher Raufbold. Wenn er betrunken ist, und das ist er ab und zu.«
»Hat Henrik eine Freundin?«
»Hier in der Stadt?«
»Ja. Oder woanders?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er eine Freundin hat.«
Gunnar Barbarotti dachte schnell nach. Beschloss, seiner Intuition zu folgen. »Ich habe den Eindruck, dass da noch mehr dahintersteckt.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Wie meinen Sie das?«
Er bemerkte, dass sie rot wurde. Sie versuchte es zu kaschieren, indem sie in einen weiteren Keks biss, plötzlich war sie nervös. Sie hatte etwas angedeutet, und jetzt wollte sie nicht dazu stehen. Was nur zum Teufel?, überlegte Gunnar Barbarotti.
»Linda, ich bin es gewohnt, herauszuhören, was Menschen sagen und was sie nicht sagen«, erklärte er langsam, während er versuchte, sie mit seinem Blick festzunageln. »Und was
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