Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
sie sagen, obwohl es ihnen gar nicht bewusst ist. Als Sie sagten, ›Das kann ich mir nicht vorstellen‹, da haben Sie eigentlich etwas anderes sagen wollen, oder?«
Etwas geschwollen, wie er selbst fand, aber es wirkte. Sie zögerte zwei Sekunden, biss sich auf die Lippen und zog an einem Korkenzieher.
»Ich wollte damit nur sagen, dass es mich nicht wundern würde, wenn Henrik schwul ist.«
»Ach ja?«
»Aber das ist nur meine höchst private Vermutung, vergessen Sie das nicht. Ich habe mit den anderen nie darüber gesprochen, und es interessiert mich eigentlich auch nicht. Nur manchmal hat man so den Eindruck … ja, Sie wissen schon, nicht?«
Er nickte.
»Natürlich nichts Tuntiges, und vielleicht irre ich mich ja auch. Es ist nichts, worüber ich mir länger Gedanken gemacht habe.«
»Ich verstehe«, sagte Gunnar Barbarotti. »Hat er häufiger Freunde zu Besuch … oder Kommilitonen … männliche oder weibliche?«
Sie dachte nach. »Ich glaube, sie haben hier ein paar Mal zusammen gelernt. Vier, fünf Stück, sie studieren Jura, ja, zwei Typen und zwei Mädchen, soweit ich mich erinnern kann.«
»Geht er viel aus?«
»Nein. Er war wohl ein paar Mal zu Studententreffen … der Studenten aus Norrland. Ich glaube, er singt da auch im Chor. Und bei Jontes natürlich, da gehen alle Juristen hin. Aber ich habe ihn nie richtig betrunken gesehen, er ist ziemlich strebsam.«
»Was man nicht von allen sagen kann?«
»Nein, das kann man wirklich nicht von allen sagen.«
Barbarotti lehnte sich zurück. Homosexuell?, überlegte er. Das hatte er bisher noch nicht gehört.
»Jenny?«, fragte er. »Haben Sie eine Bekannte von Henrik getroffen, die Jenny heißt?«
»Nein, nie.«
»Sicher?«
»Jedenfalls ist sie mir nie vorgestellt worden. Aber ungefähr jedes dritte Mädchen heißt heutzutage Jenny.«
»Gut«, nickte Gunnar Barbarotti. »Das reicht wohl fürs Erste. Sie haben für alle Zimmer einen Reserveschlüssel, haben Sie mir erzählt. Könnten Sie mir Henriks Zimmer aufschließen?«
Sie zögerte. »Haben Sie die Genehmigung dazu?«, fragte sie. »Müssten Sie mir dafür nicht ein Papier oder so zeigen?«
Er nickte und zog den Bescheid heraus. Sie warf einen Blick darauf, stand auf und zog eine der Schubladen neben dem Herd auf. Und plötzlich, während sie sich für eine Sekunde vorbeugte, sah er ihre Brust und ihre Brustwarze. Ihr weinrotes Hemd war an den Ärmeln weit ausgeschnitten, und darunter schaukelte ihre rechte Brust vollkommen frei herum.
»Wir haben sie freiwillig gemacht«, sagte sie. »Alle außer Ersan, er vertraut keinem, aber das würde ich mit seinem Hintergrund auch nicht.«
Gunnar Barbarotti schluckte und nahm einen Schlüssel entgegen. Beschloss, nicht nachzufragen, woher besagter Ersan kam. »Danke für den Kaffee«, sagte er stattdessen. »Jetzt will ich Sie nicht länger stören. Ich sage Bescheid, wenn ich fertig bin.«
»Kein Problem«, erwiderte Linda Markovic. »Es sind noch dreizehn Tage bis zur Prüfung, ich habe alle Zeit der Welt.«
»Ich kann mich noch erinnern, wie das war«, sagte Gunnar Barbarotti und spürte, dass er sie ein wenig beneidete.
Aber diese Brust wollte seine Netzhaut einfach nicht freiwillig verlassen.
Den Nachmittag und Abend über traf er nacheinander einen Chorleiter, eine Cousine von Leif Grundt sowie einen Studienberater an der juristischen Fakultät.
Der Chorleiter hieß Kenneth und konnte ein Urteil über Henriks Bariton abgeben. Der sei sehr schön, wie er behauptete, im Chor war er natürlich nur einer unter vielen, aber wenn er genügend Ehrgeiz hatte, könnte man ihn zum Solisten ausbilden.
Irgendeine Jenny? Nein, von der hatte er nie gehört.
Die Cousine hieß Berit, und Henrik hatte während der ersten zwei Wochen des Semesters bei ihr in Bergsbrunna gewohnt, bis er das Zimmer in der Karlsrogatan gefunden hatte. Seit Henriks Auszug hatten sie sich nur einmal gesehen, aber sie hatte den Eindruck, dass er ein außerordentlich strebsamer und netter junger Mann sei.
Jenny? Nein, von Mädchen wusste sie nichts.
Der Studienberater hieß Gertzén, und er wusste, dass Henrik Grundt immatrikuliert war und an der Fakultät studierte. Mehr wusste er nicht, aber es gab so viele Studenten, um die er sich kümmern musste, und besonders zu Anfang konnte es schon schwer sein, sich über Einzelne eine Meinung zu bilden.
Jenny? Inspektor Barbarotti stellte nicht einmal mehr die Frage.
Es war halb neun, als er zurück ins Hotel Hörnan ging,
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