Menschen lesen: Ein FBI Agent erklärt, wie man Körpersprache entschlüsselt
sich in der Evolution durchgesetzt, weil sie entscheidend für das Überleben der Gemeinschaft war und zugleich auch dem Erhalt der sozialen Harmonie diente (siehe Kasten 8).
»Wie ein Reh im Scheinwerferlicht«, so umschreiben wir dieses Verhalten manchmal. Wenn wir uns unvermittelt in einer potenziell gefährlichen Situation befinden, verharren wir plötzlich stocksteif, noch bevor wir etwas anderes tun können. Auch in modernen Alltagssituationen kann man das beobachten.
DIE BERÜHMTE SCHRECKSEKUNDE
Vor einigen Wochen war ich zu Besuch bei meiner Mutter und saß gerade mit anderen Familienangehörigen bei einem Eis vorm Fernseher. Es war spät am Abend, als plötzlich die Türklingel läutete (etwas, das in dieser Wohngegend um diese Uhrzeit sehr ungewöhnlich ist). Gerade hatten wir noch munter unser Eis gelöffelt, doch plötzlich hielten wir alle wie auf Kommando inne - Kinder wie Erwachsene. Es war erstaunlich mit anzusehen, wie die ganze Mannschaft in genau demselben Moment mitten in der Bewegung innehielt. Es stellte sich heraus, dass der späte Gast meine Schwester war, die ihre Schlüssel vergessen hatte. Natürlich wussten wir nicht, dass sie es war, als es läutete. Dies ist ein wunderbares Beispiel für eine archaische gemeinschaftliche Reaktion auf eine scheinbare Gefahr. Die Schockstarre ist die erste Reaktion, die das limbische System in solch einer Situation auslöst.
Soldaten im Kampfeinsatz reagieren übrigens genauso. Wenn der Späher in der Bewegung erstarrt, tun es ihm alle gleich; es bedarf keiner weiteren Worte.
Etwa wenn jemand, der gerade die Straße entlangläuft, plötzlich stehen bleibt und sich mit der Handfläche gegen die Stirn schlägt, bevor er auf dem Absatz kehrt macht und schnurstracks zu seiner Wohnung zurückläuft, um den Herd auszuschalten. Dieses unvermittelte Innehalten verschafft dem Gehirn die nötige Zeit, um schnell abzuwägen, welcher Art eine mögliche Bedrohung ist und wie man am besten darauf reagiert. Ganz gleich, ob sich uns ein Raubtier nähert oder ob wir nur etwas Wichtiges vergessen haben (Navarro, 2007, 141-163).
Wir erstarren nicht nur, wenn wir uns mit körperlichen oder sichtbaren Bedrohungen konfrontiert sehen, sondern wie das
Beispiel des späten Türläutens gezeigt hat, können wir auch Dinge als Bedrohung empfinden, die wir akustisch wahrnehmen. Auch sie können das limbische System in Alarmzustand versetzen. Das zeigt sich beispielsweise, wenn jemand zu Dingen befragt wird, die ihm oder ihr möglicherweise Ärger bereiten könnten. Diese Person wird regungslos auf ihrem Stuhl verharren, als säße sie auf einem Schleudersitz, der bei der kleinsten Bewegung ausgelöst werden könnte (Gregory, 1999).
Ähnliches kann man bei Zeugenaussagen erleben, wenn Menschen plötzlich anfangen, die Luft anzuhalten oder flach zu atmen. Auch dies ist eine unbewusste Reaktion auf eine vermeintlich gegenwärtige Bedrohung. Sie wird von dem Befragten nicht bemerkt und ist dennoch für jeden, der darauf achtet, recht gut erkennbar. Schon oft musste ich mitten im Gespräch oder während einer Aussage mein Gegenüber dazu auffordern, sich zu entspannen und tief durchzuatmen - ihm selbst war gar nicht aufgefallen, wie flach seine Atmung geworden war.
Analog dazu bringen Menschen, die zu einem Verbrechen befragt werden, ihre Füße oft in eine Position, die ihnen Sicherheit verleiht, und behalten diese Haltung für unbestimmte Zeit bei. Beispielsweise schlingen sie die Füße um die Stuhlbeine. Dieses Verhalten signalisiert mir, dass irgendetwas nicht stimmt. Es sagt zwar nichts über den Wahrheitsgehalt der Äußerungen aus, da vorsätzliche Täuschung nicht direkt als solche erkennbar ist. Aber ich kann aufgrund des nonverbalen Verhaltens sicher sein, dass dem Befragten irgendetwas Stress bereitet - und ich kann versuchen, die Quelle des Unbehagens aufzuspüren, indem ich die Gesprächsführung entsprechend anpasse.
Eine weitere Reaktion auf »gefährliche« Situationen besteht darin, sich kleinzumachen. Die Beobachtung von Ladendieben zeigt, dass diese oftmals versuchen, möglichst unauffällig zu wirken, indem sie ihre Bewegungen auf ein Minimum reduzieren oder eine gebeugte Haltung einnehmen - in dem verzweifelten Versuch, sich unsichtbar zu machen. Ironischerweise macht sie das nur umso auffälliger. Normale Einkäufer verhalten sich ganz anders, sie gehen durch ein Geschäft, bewegen ihre Arme recht lebhaft und weisen eine eher aufrechte Körperhaltung auf.
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