Menschen und Maechte
war).
Bei genauerer Betrachtung fällt auf, daß eigentlich nur die Streitkräfte als in sich geschlossener Apparat von den regelmäßigen personalpolitischen Katarakten vergleichsweise unbeeinflußt bleiben. Die Armee kann ihre besten Leute in relativer Ruhe durch vielfältige Verwendung fördern und ziemlich früh in einflußreiche Spitzenstellungen bringen. Diese Männer haben sich dadurch oft ein über das Militärische hinausgehendes gesamtstrategisches Urteil verschafft, das den Europäern in der Gestalt guter Oberbefehlshaber in Europa (der Posten des SACEUR – Supreme Allied Commander Europe – geht traditionell an die Amerikaner) zugute gekommen ist. So hatten die Generale Lemnitzer, Goodpaster und Rogers als SACEUR oft größeres Verständnis für die Interessen und Notwendigkeiten ihrer europäischen Verbündeten als das Pentagon. Der Luftwaffengeneral Lauris Norstad war als SACEUR in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren de facto zugleich ein wirksamer Botschafter Europas in Washington und ein ausgezeichneter Botschafter der amerikanischen Nation in Europa. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre spielte Alexander Haig als SACEUR eine ähnlich herausragende Rolle; als Außenminister unter Reagan agierte er dann nicht ganz so umsichtig wie zuvor in
Brüssel und noch früher während der Präsidentschaftskrise des Jahres 1974 in Washington.
Die Rolle der herausragenden amerikanischen Militärs wird freilich durch die ausgeprägte Rivalität zwischen Heer, Marine und Luftwaffe (plus Marinecorps) beeinträchtigt. Als es unter Reagan und dessen Verteidigungsminister Weinberger zu enormen Steigerungen der Verteidigungsausgaben kam, denen die Vorstellung einer vorangegangenen Vernachlässigung durch Carter zugrunde lag, gewann ich den Eindruck, daß die Aufschlüsselung der zusätzlichen Haushaltsmittel auf die Teilstreitkräfte nicht etwa strategischen Abwägungen, sondern vielmehr einem billigen Proporzschlüssel entsprang; aus ähnlichen Proporzgründen mußte die eurostrategische Pershing II eine Waffe des Heeres, nicht eine der Luftwaffe sein. Gesamtstrategisch denkende Generale wie David Jones oder Maxwell Taylor konnten ihre analytischen Fähigkeiten erst als Chairman der vier Stabschefs der Teilstreitkräfte (Chairman of the Joint Chiefs) oder als Oberkommandierender Europa, erst nach Berufung in das Weiße Haus oder aber erst nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst verwerten.
Wenn ich im Gespräch mit amerikanischen Freunden bisweilen den Mangel an Stetigkeit der Außenpolitik ihres Landes beklagt habe, so kam das Gespräch zwangsläufig auch auf die tatsächliche Überforderung jedes Präsidenten und auf die unterschiedliche Reaktion der Präsidenten darauf. Nach europäischen Maßstäben übt der amerikanische Präsident die zwei bedeutendsten Staatsämter zugleich aus: Er ist sowohl Staatsoberhaupt von beinahe kaiserlichem Status als auch Regierungschef. Schon protokollarisch erfordert das erste Amt großen Zeitaufwand; der Präsident kann die in europäischen Staaten übliche Zeit für Besuche ausländischer Staatsoberhäupter praktisch kaum aufbringen. Staatsoberhäupter wie die Könige von England, Spanien, Holland, Belgien, Norwegen, Schweden und Dänemark oder die Staats- oder Bundespräsidenten in Frankreich, in der Bundesrepublik, in Italien und Osterreich haben in Europa die ungeschriebene, aber immens wichtige Aufgabe der geistigen Integration aller Teile der Gesellschaft und der sichtbaren Tradierung der Grundwerte ihres Staates und ihrer Gesellschaft.
In jüngster Zeit haben Juan Carlos, Sandro Pertini oder Richard von Weizsäcker diese Aufgabe in bewundernswerter Weise und zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst. Dem amerikanischen Präsidenten dagegen ist diese Funktion durch die systembedingte Tatsache häufiger Kontroversen mit den Mehrheiten von Senat und Abgeordneten erschwert, zumal er de facto die Rolle des Führers seiner Partei hat. Zu Hilfe kommt ihm allerdings die liebenswerte Tradition des amerikanischen Volkes, sich in auswärtigen Krisen zunächst einmal hinter den Präsidenten und dessen Krisenmanagement zu stellen (»to rally behind the president«); dies hat beispielsweise Carter im Falle von Camp David erlebt und erneut anläßlich der Geiselnahme in Teheran, Reagan konnte sich bei seinem Bombenangriff auf Tripolis darauf stützen.
Das eigentliche Amt des Präsidenten, nämlich Chef der Regierung zu sein (in den USA »administration« oder
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