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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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statt, eine Rede meist politischen oder wirtschaftlichen Inhalts, gehalten von einem der prominenten Mitglieder oder einem der Gäste (auch mir wurde einmal diese Ehre zuteil), der von einem anderen Lagerteilnehmer eingeführt wird. Die Zuhörer sitzen auf dem Gras, mit dem Blick auf das Wasser; viele von ihnen sind auf dem jeweiligen Felde durchaus sachkundig und keineswegs unkritisch. Aber die ganze Veranstaltung vollzieht sich zwanglos, mit einem Anflug von Knabenromantik und mit dem Flair eines Westerns im Fernsehen.
    Einige Camps veranstalten Kurzvorträge mit anschließender Diskussion. Ich erinnere einen Nachmittag in einem Nachbarcamp, bei dem gleich drei der damaligen »presidential hopefuls« anwesend waren, nämlich George Bush, Alexander Haig und Ronald Reagan. Ich weiß nicht mehr, ob sie ihre Absicht, als Präsidentschaftskandidat aufgestellt zu werden, damals schon bekanntgegeben hatten; in der außenpolitischen Diskussion, die durch den Singapurer Premierminister Lee Kuan Yew, durch Henry Kissinger und mich eingeleitet wurde, verhielten sie sich jedenfalls vorsichtig zurückhaltend.
    Dieses Wochenende ermöglichte einen illustrativen Einblick in
die Westküstenelite. Die anwesenden Politiker waren meist Gäste eines der Klubmitglieder; diese aber waren Künstler (ich lernte dort Isaak Stern kennen), Schriftsteller (zum Beispiel Herman Wouk), Ärzte, Rechtsanwälte, Bankiers wie Peter Peterson und Industrielle wie David Packard, den ich zehn Jahre zuvor als stellvertretenden Verteidigungsminister unter Melvin Laird kennengelernt hatte und der jetzt Mitinhaber der Weltfirma Hewlett-Packard war, oder die beiden Steve Bechtel, Senior und Junior, die mit meinem Gastgeber George Shultz eine andere Weltfirma in San Francisco leiteten. Gewiß kamen manche der Teilnehmer auch aus dem Osten, dem Mittelwesten und dem Süden; aber insgesamt konnte ich mir keinen größeren Kontrast zu der ein wenig kühlen und stilvollen Neuenglandatmosphäre im Council an Foreign Relations oder im River Club zu New York vorstellen. Hier im Grove war man eher hemdsärmelig, direkt, aufgeräumt, unbeschwert – aber bei alledem nicht oberflächlich. Dies war zweifellos auch Establishment, aber von einem sehr andersartigen Temperament. Der Unterschied war weitaus größer als derjenige zwischen Oberbayern und den norddeutschen Hafenstädten.
    Auf eine andere Weise sucht Gerald Ford alljährlich durch ein gemeinsames Wochenende in einem Hotel in Vail (Colorado) inmitten der Rocky Mountains führende Personen aus den verschiedenen Teilen der amerikanischen Gesellschaft einander näherzubringen. Unter der Ägide des konservativen American Enterprise Institute versammeln sich etwa zwei Dutzend Vorstandsvorsitzende (chief executive officers) und selbständige Inhaber größerer Firmen und Banken; dazu kommen etwa ebenso viele ausländische Kollegen, aber auch ausländische Staatsmänner, amerikanische Kabinettsmitglieder, herausragende Ökonomen, Senatoren und Kongreßabgeordnete sowie Fachleute aus verschiedenen amerikanischen »think tanks«. In Arbeitsgruppen und im Plenum wird zu sorgfältig vorbereiteten Sachthemen hart gearbeitet, nachher die Geselligkeit aber nicht vergessen. Hier werden nicht nur der Westen, der Süden und der Osten der USA zusammengeführt, sondern außerdem die verschiedenen politisch interessierten Gruppen der amerikanischen Gesellschaft. Derartige Veranstaltungen sind
nicht nur nützlich, sondern angesichts der zunehmenden Zersplitterung der politischen Klasse auch notwendig, wenn ein breiter politischer und außenpolitischer Konsens in den USA wiederhergestellt werden soll.
    Neben dem Niedergang des alten Ostküstenestablishments und seiner weitgehenden Verdrängung durch den Süden und den Westen hat auch eine andere Entwicklung zur Auflösung der einheitlichen politischen Klasse beigetragen, nämlich die Herausbildung einer Klasse von intellektuellen Berufspolitikern, die sich selbst keiner Wahl stellen, sondern den gewählten Politikern (und den Kandidaten) als sachverständige Berater und ausführende Organe ihre Dienste anbieten und manchmal sogar aufdrängen. Sie haben ihren Rückhalt in verschiedenen Instituten, in denen sie arbeiten, solange sie keine Regierungsämter ausüben.
    Solche »think tanks« gibt es in den USA seit langem; uns Europäern ist zum Beispiel der Name der Rand Corporation auf dem Felde militärischer Analysen längst ein Begriff; ihr entstammten bereits früh sehr luzide Köpfe

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