Menschen und Maechte
Parteigängern oder Sympathisanten des neuen Präsidenten oder seiner Partei besetzt. Natürlich werden auch die Sekretärinnen ausgewechselt, und die scheidenden Präsidenten nehmen fast alle Akten mit. Bis der Prozeß der Einarbeitung des neuen Präsidenten überstanden ist, vergeht fast ein ganzes Jahr.
Im Gegensatz dazu werden in der Bundesrepublik bei einem Kanzlerwechsel die Botschafter in aller Regel nicht ausgetauscht, Ministerialdirektoren nur in wenigen Fällen; die Neubesetzung mit Personen von außerhalb des Berufsbeamtentums bildet die seltene Ausnahme. Auch meine persönlichen Referenten in meinen Ämtern als Minister und Bundeskanzler waren Berufsbeamte. Noch wichtiger war der Umstand, daß ich während der achteinhalb Kanzlerjahre nacheinander vier außen- und sicherheitspolitische Berater hatte, die alle hervorragende Karrierediplomaten waren (drei von ihnen wurden später Staatssekretäre in anderen Häusern, das heißt, sie erreichten die Spitze des Berufsbeamtentums). Zwar können nach dem Gesetz auch Ministerialdirektoren und Generäle jederzeit in den Ruhestand geschickt werden, aber dies geschieht in Bonn nur selten aus politischen Gründen. Im Falle eines Regierungswechsels
konzentriert sich bei uns der Wechsel der Personen vielmehr auf die Minister und auf die beamteten und die parlamentarischen Staatssekretäre. Die Praxis in England ist ähnlich, aber noch restriktiver.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn ein neuer Premierminister oder Kanzler ins Amt kommt, findet er erstklassige Fachleute vor; sie kennen die Entstehungsgeschichte und alle Facetten der komplizierten Probleme, die der neue Mann lösen will. Er muß sich mit ihren Vorstellungen auseinandersetzen; wenn er aber eine Entscheidung getroffen hat, so kann er sich auf die loyale Ausführung durch seine Beamten verlassen. Auf diese Weise wird nicht nur in London und in Bonn, sondern in den meisten europäischen Hauptstädten auch über Regierungswechsel hinweg eine sehr weitgehende Stetigkeit der auswärtigen Politik gewahrt. Diese Kontinuität gibt den anderen Regierungen das wichtige Gefühl der Berechenbarkeit und der Zuverlässigkeit. Ergänzt wird diese Komponente personeller Kontinuität im allgemeinen durch einen beträchtlichen außenpolitischen Instinkt der Ministerpräsidenten, Kanzler oder Staatspräsidenten. Fast alle sind sie durch ihren politischen Lebensweg auf das Tragen nationaler Verantwortung vorbereitet; dank jahrelanger Beschäftigung mit der Außen- und Sicherheitspolitik ihres Staates wissen sie, daß abrupte Kurswechsel nur in den wenigsten Fällen erfolgreich sein können. Weder Pompidou noch Giscard d’Estaing haben die Gesamtstrategie oder die Nuklearstrategie de Gaulles durch neue Konzepte ersetzt. Edward Heath hat die Entscheidung seines Vorgängers Harold Wilson, keine Streitkräfte mehr »east of Suez« zu unterhalten, nicht rückgängig gemacht; als auf Heath abermals Wilson folgte, hat dieser keinen Wiederaustritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Gemeinschaft betrieben. Helmut Kohl hat sich bemüht, die Ostpolitik seines Vorgängers fortzusetzen – trotz scharfer Kritik, die er zuvor in der Opposition daran geübt hatte.
Washington dagegen wird durch einen großen Einfallsreichtum der jeweils neuen Leute gekennzeichnet; fast jeder Präsident verkündet seine eigene außenpolitische oder gesamtstrategische »Doktrin«. Diese Diskontinuität muß bei den Verbündeten und
auch bei den Gegenspielern zu Unsicherheit, Vorsicht und sogar Mißtrauen führen. Das unaufhörliche Austauschen des personellen Reservoirs, aus dem die operativ tätigen Personen des Weißen Hauses, des State Department, des Pentagon, der Abrüstungsbehörde und auch die Botschafter rekrutiert werden, addierte sich seit 1976 mit dem Mangel an internationaler Erfahrung der Präsidenten. Der Karrierediplomat gilt in Washington wenig; deshalb und auch wegen der ziemlich geringen Besoldung verlassen viele erstklassige Leute den auswärtigen Dienst relativ früh; viele werden vom Eintritt in den Dienst überhaupt abgeschreckt. Statt dessen spielen die Wahlkampfbeiträge von Privatpersonen bei deren Ernennung zum Botschafter eine erhebliche Rolle. Dennoch hat Amerika noch immer ausgezeichnete Karrierediplomaten (ich erinnere mich zum Beispiel dankbar an Walter Stoessel als Botschafter in Bonn) und hervorragende Außenseiter als Botschafter hervorgebracht (etwa Arthur Burns, der später Botschafter in Bonn
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