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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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antwortete mit der Luftbrücke für West-Berlin, vor allem aber mit der Gründung des Nordatlantikpaktes. Gleichzeitig begann der Prozeß der Vereinigung der drei von den Westmächten okkupierten Besatzungszonen Deutschlands zur Bundesrepublik Deutschland. Stalin antwortete mit der praktischen Eliminierung aller nichtkommunistischen Parteien in Osteuropa und mit der Etablierung der kommunistisch beherrschten Deutschen Demokratischen Republik. Wenige Jahre später wurden beide deutschen Staaten in die Bündnissysteme der sich gegenüberstehenden Weltmächte integriert; sie wurden damit zur jeweils vordersten Bastion der Weltmächte in Europa. Schon Ende der vierziger Jahre war der Kalte Krieg in vollem Gange.
    Diese Epoche war durch den Rüstungswettlauf zwischen Ost und West und durch den Kampf um Einflußsphären auch in anderen Erdteilen charakterisiert. Der Versuch, Korea zu einer fernöstlichen Bastion des kommunistischen Bündnissystems zu machen, löste 1950 den Koreakrieg aus und war Hintergrund der Bemühungen von John Foster Dulles, durch weltweite amerikanische Bündnisse die Sowjetunion einzukreisen und zurückzudrängen. Mit
gewissem Recht faßte Washington damals die Sowjetunion und die Volksrepublik China als eine Machtgruppierung auf, die eine einheitlich strategische Zielsetzung hatte; zu dem Bruch zwischen Beijing und Moskau kam es erst Ende der fünfziger Jahre. Die logische Antwort war das Konzept einer konfrontativen Strategie gegenüber der Sowjetunion, also eine weltumfassende antisowjetische Gesamtstrategie der USA.
    Die Ursachen für diesen grundlegenden Kurswechsel der amerikanischen Gesamtstrategie lagen im sowjetischen Verhalten, das sich auch nach Stalins Tod im Jahre 1953 weder unter Malenkow noch unter Chruschtschow änderte. Die gewaltsame Niederschlagung der Freiheitsbewegungen im Juni 1953 in der DDR und im Oktober 1956 in Budapest empörte das Rechtsempfinden Amerikas (wie fast der ganzen Welt) und beleidigte seine humanistischen Grundwerte; zugleich aber enthüllte die brutale Anwendung von Macht die faktische Unmöglichkeit, ohne das Risiko eines großen Krieges zugunsten der Unterdrückten wirksam einzugreifen. Zu Lande waren die Streitkräfte der USA eindeutig unterlegen, ihre Überlegenheit zur See und in der Luft hatte aber schon in Korea nicht zu einem Siege gereicht. Es blieb einstweilen noch die Überlegenheit auf dem Felde der nuklearen Waffen als letzte Zuflucht für den Fall einer drohenden Niederlage auf dem europäischen Festland.
    Aus dieser Lage entstand die amerikanische Militärstrategie der Abschreckung der Sowjets durch Androhung »massiver Vergeltung« mit Hilfe nuklearer Waffen, ein Konzept, das vom nordatlantischen Bündnis sehr bald übernommen wurde. Für den Fall eines sowjetischen Angriffs drohte der Westen Moskau mit nuklearer Zerstörung. Einige Amerikaner, wie 1956 der damalige Chairman of the Joint Chiefs, Admiral Arthur W. Radford, gingen so weit, auf konventionelle Landstreitkräfte mehr oder weniger verzichten und sie lediglich als Auslösemechanismus (»tripwire«) für den Einsatz der nuklearen Zerstörung des Gegners aufrechterhalten zu wollen. Andere, wie 1957 der kurz zuvor in den Ruhestand getretene ehemalige Chef des Stabes des Heeres, General Maxwell Taylor, stellten dagegen die Frage: Was geschieht, wenn wir die Nuklearwaffen
nicht verwenden können oder wollen? Taylor forderte logischerweise ausreichende konventionelle Kampfkraft.
    Tatsächlich ging in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die nuklearstrategische Überlegenheit der USA allmählich zu Ende. Während der Suezkrise 1956 drohte Chruschtschow den Franzosen und Engländern mit der geringen Zahl nuklearbestückter Raketen, über welche er damals verfügte; Washington gab Paris und London den dringenden Rat, die Suez-Operation abzubrechen. Die Berlinkrise von 1959 bis zum Mauerbau im August 1961 quer durch Berlin gab der besorgten Frage Taylors recht. In der kubanischen Raketenkrise im Oktober 1962 schreckte Chruschtschow vor der Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung mit den USA zwar zurück. Aber gleichzeitig begriff die Kennedy-Administration, daß man sich schnell dem Zustand eines qualitativen nuklearstrategischen Gleichgewichts näherte: Wer als erster nuklear gegen den anderen vorging, würde trotzdem sterben – wenn auch erst als zweiter.
    Diese Einsicht in die sich entfaltende Zweitschlagsfähigkeit der Sowjetunion erzwang den Übergang nicht nur zu einer neuen

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