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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Gesamtstrategien
    Seit dem Ende des Weltkriegs hat es bisher vier Phasen, das heißt, dreimal einen Wechsel der amerikanischen Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion gegeben – und damit auch hinsichtlich Europas. Zwei dieser Kursänderungen waren durch äußere Ereignisse und durch weltpolitische Entwicklungen verursacht; sie waren gut begründet und tragfähig. Der dritte Kurswechsel gab die gesamte bisherige Strategie auf, ohne daß in der gegenwärtigen vierten Phase eine neu definierte oder definierbare Gesamtstrategie an ihre Stelle getreten ist; zumindest läßt sich eine solche bis heute nicht erkennen.
    Natürlich blieben in allen vier Phasen der amerikanischen Gesamtstrategie einige wichtige Komponenten erhalten. Keine amerikanische Führung hätte es jemals hingenommen,, sich in militärischer und machtpolitischer Hinsicht von der Sowjetunion überflügeln zu lassen. Immer war man sich in Washington der Notwendigkeit bewußt, den sowjetrussischen Expansionsdrang zu begrenzen und einzudämmen (»containment«); immer bestand auch die Absicht, die Sowjetunion aus Gebieten, in denen sie sich illegitimerweise
etabliert hatte, wieder zu verdrängen. Die wechselnden Führungen der USA waren sich zu jeder Zeit darüber im klaren, daß sie für diese Ziele einer Reihe von Verbündeten bedurften, besonders in Europa. Der in der amerikanischen Geschichte einflußreiche Hang zum Isolationismus, der heute noch immer latent ist, kam nie zum Durchbruch. Nicht ununterbrochen, aber doch sehr häufig kam es in allen vier Phasen der amerikanischen Gesamtstrategie zu Versuchen, wenigstens zu einer partiellen, begrenzten Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu gelangen. Diese Komponenten der Stetigkeit wurden in den vier Phasen jedoch verschieden akzentuiert; andere, weniger beständige Komponenten traten jeweils hinzu. Überdies wurden die einzelnen Komponenten auch in jeweils neue Gesamtvorstellungen eingefügt, die man dann, mit neuen Schlagworten versehen, der eigenen Nation, den Verbündeten, den sowjetischen Gegenspielern und dem Rest der Welt mit einem beträchtlichen Aufwand an Rhetorik vortrug.
    Wenn man von den Schlagworten absieht, so sind die vier Phasen wie folgt zu kennzeichnen: erstens, die kurze Phase des vergeblichen Versuchs zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion; zweitens, die lange Ära des Kalten Krieges, des Rüstungswettlaufs und des vergeblichen Versuchs zum »roll-back«; drittens, die Zeit des akzeptierten Gleichgewichts zwischen den beiden Supermächten durch die beiderseits verbürgte Fähigkeit zur nuklearstrategischen Vernichtung der jeweils anderen, begleitet von partieller Zusammenarbeit zwischen beiden; viertens, die erneute Phase des Kalten Krieges und des Rüstungswettkampfes.
    Die erste amerikanische Gesamtstrategie war noch vor Ende des Weltkrieges konzipiert worden. Sie wuchs aus der Zusammenarbeit der Kriegsverbündeten der Anti-Hitler-Koalition. Gemeinsam hatte man in Teheran, Jalta und später in Potsdam die Welt der Nachkriegszeit zu ordnen versucht, gemeinsam in San Francisco die Vereinten Nationen gegründet. Aus der während dieser Zusammenarbeit gewonnenen Einstellung zur Sowjetunion entstanden der nicht ganz uneigennützige Baruchplan und der Marshallplan; es waren Angebote an die Sowjetunion – und an alle europäischen Staaten, die unter den Kriegsfolgen gelitten hatten –, friedliche
Bedingungen herzustellen und sich auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu konzentrieren. Stalin lehnte jedoch den von den USA angebotenen Verzicht auf nukleare Waffen ab und forcierte statt dessen die Entwicklung sowjetischer Nuklearwaffen, um den amerikanischen Entwicklungsvorsprung einzuholen; ebenso wies er die amerikanische Wirtschaftshilfe zurück. Auch die übrigen osteuropäischen Staaten verzichteten auf eine Beteiligung am Marshallplan. Gestützt auf die Anwesenheit sowjetischer Truppen konzentrierte sich Moskau auf die Konsolidierung kommunistischer Regime im östlichen Teil Europas. Es lag in der Logik seiner Gesamtstrategie, die sowjetischen Streitkräfte bei weitem nicht in dem Maße zu demobilisieren, wie dies die USA taten; vielmehr wollte Moskau ein erhebliches Maß militärischer Rüstung aufrechterhalten.
    Stalins Versuch, 1947 auch in Griechenland ein Satellitenregime zu etablieren, vor allem aber seine Blockade Berlins im Juni 1948 haben dann definitiv zu dem ersten grundlegenden Wechsel der amerikanischen Gesamtstrategie und damit zu deren zweiter Phase geführt. Truman

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