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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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und benutzte die Taschenlampe als Fahrradlampe, weil das Licht auf der vorderen Radgabel seit ewigen Zeiten kaputt war. Es gab eine gewisse Chance, dass ein anderer Elin gestoppt hatte, aber groß war sie nicht. Nachts waren auf Domarö nur im Sommer Menschen unterwegs.
    Er kam am Lebensmittelladen und am Missionshaus vorbei, ohne der Schlafwandlerin zu begegnen. Als er auf den Weg durch den Fichtenwald gelangte, keuchte und schwitzte er bereits. In seinem Mund war der Geschmack von säuerlichem Rauch, und als er die Taschenlampe über die finsteren Bäume schwenkte, packte ihn erneut der Missmut.
    I was happy in the haze of a drunken hour, but heaven knows I’m miserable now …
    The Smiths. Es war viele Jahre her, dass ihm unverhofft eine ihrer Textzeilen in den Sinn gekommen war, was ihn bei seiner Fahrt durch den Wald an die Vergangenheit zurückdenken ließ. Er erreichte den Waldrand auf der Seite von Kattudden, fuhr fünfzig Meter weiter und sah sich mit einem Anblick konfrontiert, der ihn eine Vollbremsung machen ließ, sodass die Reifen durch den Schotter schlitterten.
    Er versuchte gegenzulenken, aber es gelang ihm nicht, auf dem Fahrrad das Gleichgewicht zu halten. Es rutschte seitlich weg und fiel mit einem Scheppern und einem Pling der Klingel hin. Das rechte Knie schrammte durch den Kies, ehe ihn der Schwung mitriss und er sich zweimal um sich selbst drehte, bis ihn ein Zaun stoppte. Dort zog er sich hoch, bis er saß, und versuchte zu verstehen, was seine Augen sahen.
    Unter einer Straßenlaterne parkte Henriks Lastenmoped. Auf dem benachbarten Grundstück bewegte Elin sich zusammen mit zwei anderen Personen. Der Lärm, den Anders’ Sturz verursacht hatte, veranlasste die beiden, sich umzudrehen. Es waren Henrik und Björn. Sie sahen ungefähr so alt aus wie damals, als Anders sie vor achtzehn Jahren zum letzten Mal gesehen hatte.
    Das gibt es nicht. Das passiert nicht.
    Henrik und Björn betrachteten ihn seelenruhig, während er wie ein gefangenes Tier im Lichtschein der Laterne saß. Elin ging an dem Haus auf dem Grundstück entlang weiter. Das Haus sagte Anders nichts. Eines von vielen Sommerhäusern. Elin trug etwas Schweres, das kaum zu erkennen war, weil das Licht nicht bis dorthin reichte.
    Anders hatte Blutgeschmack im Mund und sah sich nach der Taschenlampe um. Sie lag neben seinen Füßen und brannte noch. Er richtete sie auf Henrik, der zusammenzuckte, als ihn das grelle Licht traf. Dann lächelte er.
    »Tut mir leid. So einfach ist das nicht, Anders.«
    Etwas in Henriks Hand reflektierte das Licht und blendete im Gegenzug Anders, bevor die Spiegelung verschwand. Ein Messer. Die Klinge war so lang, dass sie fast bis zum Erdboden reichte, als Henrik den Griff zwischen Mittel- und Zeigefinger hielt und die Schneide pendeln ließ. Hätte die Klinge nicht eine andere Form gehabt, man hätte das Messer für eine Machete halten können.
    Anders rappelte sich auf. Seine Hose war über dem rechten Knie zerrissen, und es schmerzte pochend. Es hatte keinen Sinn zu leugnen, wovon seine Augen Zeugnis ablegten. Vor ihm standen Henrik und Björn. Sie sahen aus wie damals. Henriks Stimme hatte sich nicht verändert. Anders spuckte blutvermischten Speichel aus und fragte: »Was tut ihr da?«
    Henrik sah Björn an, und Björn sagte: »Wir fackeln die Disco ab.«
    Henrik bestätigte dies mit erhobenem Daumen. Anders richtete die Taschenlampe auf das Haus. Elin trug tatsächlich nur Unterwäsche, und das schmale BH-Band leuchtete weiß auf ihrem Rücken. In der Hand hielt sie einen Benzinkanister, und sie goss gerade die letzten Tropfen Benzin auf die Hausecke.
    Warum …
    Durch Anders’ Kopf wirbelten leicht rötliche und orientierungslose Gedanken. Alles, was er herausbrachte, war die simple Frage: »… warum?«
    Henrik spitzte die Lippen und runzelte die Augenbrauen, als wäre er enttäuscht über Anders’ Unwissenheit. Er sagte: »Das weißt du doch.«
    »Nein.«
    »Jetzt komm schon.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    Henrik fuchtelte mit dem Messer und sagte zu Björn: »Scheiße, jetzt bin ich wirklich enttäuscht. Bist du nicht auch enttäuscht?«
    Björn zog die Mundwinkel nach unten. »Ich bin total enttäuscht.«
    Sie spielten irgendein Spiel, und Anders wollte nicht mitmachen. Die Tatsache, dass sie vor ihm standen und lebten und sprachen und ihr Spiel spielten, war zu viel für ihn, und so klammerte er sich an den Grund für seine Anwesenheit. »Was hat Elin mit der Sache zu

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