Menschenhafen
wenige Meter entfernt war, schrie er: »Lasst sie los!«
Henrik drehte sich um, und Anders holte mit dem meterlangen Schläger zu einem Hieb gegen seinen Kopf aus. Henriks Arm schoss schützend in die Höhe, und der Schläger knallte gegen seinen Ellbogen. Das Gefühl von etwas Hartem, das auf etwas Hartes trifft, hätte sich in Anders’ Hände fortpflanzen müssen, doch das geschah nicht. Als das Holz auf Henriks Körper traf, fühlte es sich eher an, als schlüge man auf einen großen, wassergefüllten Pilz. Henriks Arm bog sich um den Schläger, und ein Wasserschwall traf Anders ins Gesicht.
Henrik riss ihm den Schläger aus den Händen und warf ihn auf die Erde. »Ich glaube nicht, dass du sterben sollst. Noch nicht. Also hör auf.«
Anders blieb mit hängenden Armen stehen, während sie Elin zum Meer schleiften. Dann drehte er sich um und lief zu ihrem Moped hinauf, während er in seiner Jackentasche wühlte. Hoffentlich hab ich, hoffentlich hab ich …
Ja. In seiner Tasche fand er sowohl Zigaretten als auch Streichholzer. Er lief zum Moped, schraubte den Tankdeckel ab und schrie in Richtung der Gruppe, die jetzt fast das Ufer erreicht hatte: »Hört mal! Lasst sie los, sonst …« Er riss ein Streichholz an und hielt es über die Tanköffnung.
Sie blieben stehen. Anders schüttelte die Streichholzschachtel und stellte fest, dass sie halb voll war. Er hatte keinen Plan, konnte nicht überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Er hatte sie aufhalten müssen, und das war ihm fürs Erste geglückt. Aber was dann? Er konnte hier stehen und Streichhölzer anreißen, bis sie ihm ausgingen, aber was dann?
Außerdem würden sie ihn natürlich durchschauen. Er hatte nicht vor, Elin zuliebe mit ihrem Moped in die Luft zu fliegen. Er betrachtete das Streichholz, das inzwischen fast abgebrannt war.
Außerdem …
Außerdem funktionierte das auch gar nicht, wie ihm jetzt wieder einfiel. Er wusste nicht mehr, wer und in welchem Zusammenhang, aber irgendwer hatte einmal ein brennendes Streichholz in einen Benzintank fallen lassen, um Eindruck zu schinden. Es war nur ausgegangen. Das Benzin benötigte Luft, um Feuer zu fangen. War es nicht sogar Henrik gewesen, damals, in jenem Sommer, in dem sie mit dem Moped die Kings waren?
Vielleicht stimmte es, denn seine Drohung schien sie nicht weiter zu beeindrucken, und sie schleiften Elin, die inzwischen schrie wie am Spieß, weiter zum Ufer hinunter.
Luft …
Anders packte den Rand der Ladefläche und kippte das Moped um. Es rollte herum und blieb auf dem Lenker liegen, während Benzin aus dem Tank gluckerte. Er blickte auf und sah, dass sie mit Elin mittlerweile die Uferlinie erreicht hatten. Für eine weitere Drohung war keine Zeit mehr. Er wich zwei Meter von dem Moped zurück, so weit, wie das Benzin durch den abschüssigen Kies geflossen war, zündete ein neues Streichholz an, warf es und sprang gleichzeitig zurück.
Flammen schlugen wie eine blaugelbe Wand von der Erde hoch, und Anders schrie: »Hört mal!«, so laut er konnte. Durch das Feuer, das nun an den Holzbrettern der Ladefläche leckte, sah er, dass Henrik und Björn Elin losließen und auf ihn zurannten.
Er hatte getan, was in seiner Macht stand, und Elin eine Chance zur Flucht verschafft, jetzt kam es auf sie selbst an. Er lief zum Fahrrad, und es brannte, als der Jeansstoff beim Aufsteigen von den Beinen losgerissen wurde, und dann trat er so fest und schnell in die Pedale, wie er nur konnte, und fuhr Richtung Wald. Er schaute nicht einmal zurück, um zu sehen, ob sie ihn verfolgten.
Der Feind des Wassers
Anders’ Beine traten in die Pedale, als wären sie vom Körper abgekoppelt worden und unterstünden einem anderen Willen. Um ihn herum herrschte kompakte Finsternis, dennoch verschwendete er keinen Gedanken daran, dass er jeden Moment vom Weg abkommen und im Straßengraben landen konnte, und vielleicht gelang es ihm gerade deshalb, dies zu vermeiden. Instinktiv lenkte er richtig, und es gelang ihm, den Weg durch den Wald ohne Sturz zu überstehen.
Auf dem letzten Stück wiesen ihm die schwachen Lichter aus dem Dorf den Weg, worauf er zum ersten Mal ins Wanken geriet und beinahe das Gleichgewicht verlor. Er schaffte es zu bremsen und die Beine auf die Erde zu bekommen, bevor das Fahrrad umkippen konnte. Er blickte auf den Waldweg zurück. Es sah nicht danach aus, dass sie ihn verfolgten.
Er fuhr durchs Dorf und fühlte sich vom bleichen Licht der Straßenlaternen ein wenig geschützt. Erst
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