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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Kassette heraus und drehte sie zwischen den Fingern. Sie war 1965 aufgenommen worden.
    Das ist Kultur.
    Die Komik entstand fast ausschließlich durch sprachliche Kapriolen und war durch und durch gutmütig. Es gab nichts Hartes oder Zynisches darin, wie Kalle seine ahnungslosen Opfer behandelte, er war nur ein kleiner, lustiger Mann, eine Fußnote im schwedischen Wohlfahrtsstaat.
    Anders dachte an die Comedy-Sendungen, die er in den letzten Jahren im Fernsehen gesehen hatte, und fing an zu weinen. Weil Kalle Sender nicht mehr aktiv war und alles so furchtbar geworden war. Als er eine Weile geweint hatte, stand er auf, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und versuchte sich zusammenzureißen.
    Hör auf. So kannst du nicht weitermachen.
    Er trocknete sich das Gesicht mit einem Küchenhandtuch ab und fühlte sich innerlich durchgepustet. Lachen und Weinen hatten einander abgelöst, und er war endlich müde genug, um schlafen zu können. Es war trotz allem ein guter Abend gewesen. Auf dem Weg zum Schlafzimmer strich er mit einem Finger über die Kassette.
    Da die Schlafzimmertür offen stand, musste auch Elin Kalle Sender zugehört haben, und offensichtlich hatte er auf sie die Wirkung eines Wiegenlieds gehabt. Sie schlief mit tiefen Atemzügen, und Anders war froh, sich nicht unterhalten zu müssen. Er zog sich aus, legte sich in Majas Bett und betrachtete eine Weile das Bündel im großen Bett, das Elin war.
    Was soll ich nur mit ihr machen?
    Er konnte nicht viel tun. Sie musste selbst zu einem Entschluss kommen. Er würde ihr erklären, dass sie, wenn nötig, noch ein paar Tage in seinem Haus bleiben dürfe, dann aber eine andere Lösung finden müsse. Er hatte kein Interesse an einer Untermieterin, wollte mit seinen Dämonen allein sein. Und mit Kalle Sender.
    Anders grinste. Es hatte noch eine Kassette gegeben, wo war die bloß hingekommen? »Die Abenteuer des Zauberers El Zou-Zou«. Eine Geschichte über einen Affen, der durch den Handgriff einer Papptüte ein und aus ging und verschiedene Werkzeuge holte …
    Mit dem Affen neben sich purzelte er in die Träume.
    Er erwachte von einem kalten Luftzug, setzte sich auf, blinzelte und sah auf die Uhr, die neben seinem Bett auf dem Fußboden stand. Halb eins. Er hatte etwa eine Stunde geschlafen.
    Eine Nacht. Könnte ich bitte mal eine Nacht durchschlafen?
    Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, und das große Bett war leer. Anders ließ sich aufs Kissen zurückfallen und lauschte. Man hörte keine Geräusche im Haus, dagegen klangen die Laute im Freien viel zu deutlich, so als stünde die Haustür offen. Er hatte vergessen, die Schlafzimmertür zu verbarrikadieren, und jetzt musste er die Suppe auslöffeln.
    Gähnend zog er sich an und ging in die Küche. Die Haustür stand wie erwartet offen, und das Haus war ausgekühlt. Das Thermometer vor dem Küchenfenster zeigte vier Grad an. Elins Kleider hatten säuberlich zusammengefaltet auf dem Schlafzimmerstuhl gelegen, folglich war sie in Slip und BH hinausgegangen.
    Heimgegangen.
    Dorthin war sie vorige Nacht unterwegs gewesen, und dorthin war sie jetzt wahrscheinlich gegangen. Quer über die Insel, etwa zwei Kilometer bis nach Kattudden. Anders rieb sich mit den Handflächen wütend über das Gesicht.
    Mist! So ein Mist!
    Er hatte keine andere Wahl. Er zog einen warmen Pullover und die Jacke an, stopfte Elins Kleider in eine Plastiktüte, setzte sich eine Zipfelmütze auf und machte sich auf den Weg. Wenn er Glück hatte, war sie kurz zuvor aufgebrochen und er würde sie unterwegs einholen.
    Von dem Rausch, der schon dabei gewesen war, sich in einen Kater zu verwandeln, schwirrte ihm der Kopf. Von dem tanzenden Lichtkegel wurde ihm leicht übel. Als er die Stelle erreichte, an der sich der Weg gabelte, hatte er einen Geistesblitz, und er bog zu Simons Haus ab.
    Simons Fahrrad stand am Wegrand an die Birke gelehnt. Nicht abgeschlossen. Es war ein altes Armeefahrrad und selbst für einen wirklich verzweifelten Dieb kaum der Mühe wert. Außerdem hatte Simon gesagt, dass er es nicht mehr benutzen könne, wer Verwendung dafür habe, dürfe es sich gerne nehmen.
    Anders nahm es sich. Ihm fiel etwas Ungewöhnliches auf: In Simons Haus war es dunkel, in Anna-Gretas brannte dagegen Licht. Dann erinnerte er sich wieder.
    Sie hocken bestimmt zusammen und schmieden Pläne.
    Der Gedanke erfreute ihn, und die kühle Nachtluft hatte ihm einen klareren Kopf beschert. Er hängte die Tüte mit den Kleidern an den Lenker, radelte los

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