Menschenhafen
Wohnzimmer und anschließend Henriks Stimme: »Hallooo? Ist jemand zu Hause?«
Tu was! Tu was!
Er schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu. Es wurde still. Auch die Schritte verstummten. Unter der Decke stank es nach Kot. Obwohl er nicht wollte, öffnete er die Augen und lugte durch einen Spalt in der Decke hinaus.
Henrik und Björn standen im Zimmer. Henrik hielt sein Messer in der Hand, und Björn trug einen Eimer, einen weißen, mit Wasser gefüllten Plastikeimer.
Ich träume. Das passiert nicht wirklich. Wenn dies wirklich wäre, würde ich etwas tun.
Wie ein Kind kniff Anders sich fest in den Arm, um aufzuwachen, aber Henrik und Björn standen immer noch da. Sie hatten sich dem großen Bett zugewandt, von dem aus Elins Angstton weiter in den Raum strömte.
Anders blieb liegen, während sie Elin aus dem Bett schleiften und sagten: »Tut uns leid, Kleines, aber so geht es einfach nicht mehr weiter. Schöne Mädchen schaufeln Gräber.«
Er biss sich in die Fingerknöchel, als sie Elin auf den Fußboden zogen und ihren Kopf in den Plastikeimer zwangen. Björn hielt ihre Beine fest, während Henrik ihren Nacken in einem eisernen Griff gepackt hielt und ihren Kopf tiefer in den Eimer hineinpresste, sodass Wasser über den Rand schwappte. Ihre Beine zuckten, aber Björn hielt ihre Fußknöchel fest und drückte sie zu Boden.
Man hörte einen erstickten Schrei aus dem Eimer, und Luftblasen stiegen auf und ließen das Wasser auf den Boden spritzen. Dann krümmte sich Elins Körper in einem Bogen, erschlaffte anschließend und lag still. Henrik wickelte ihre Haare um seine Hand und zog den Kopf aus dem Eimer. Er betrachtete ihr Gesicht und sagte bedauernd: »Fünfzehn Minuten mit dir. Ich hätte nicht Nein gesagt«, worauf er losließ. Elins Gesicht schlug mit einem feuchten Krachen auf den Fußboden.
Wie auf ein verabredetes Signal wandten sie sich dem kleinen Bett zu. Anders kauerte sich noch fester zusammen und nagte Haut von den Knöcheln. »Bitte«, wimmerte er. »Bitte. Tut mir nichts. Ich bin doch noch so klein.«
Henrik kam zu ihm und riss die Decke fort. »Heute Nacht wird deine allerletzte Nacht sein.« Er hob die Augenbrauen, als wäre er zufrieden mit sich, und schnippte mit den Fingern. »Suffer little children. Das passt doch perfekt, nicht wahr?«
Er packte Anders’ Schulter, zog die Hand jedoch sofort wieder zurück, als hätte er einen Schlag bekommen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer angewiderten Grimasse.
»Was ist los?«, fragte Björn. »Hat er sich in die Hose gemacht?«
Henrik betrachtete Anders, der mit der einzigen Waffe im Bett lag, die ihm noch geblieben war: seinen flehenden Augen. Henrik sah in sie, als suchte er dort nach etwas. Björn trat zum Bett und stellte den Eimer ab. Es gab in ihm etwas, das den letzten Rest Wasser in Bewegung setzte. Etwas, das nicht sichtbar war.
Björn sah Henrik an und sagte: »Ist er versteckt?«
Henrik nickte und ging neben dem Bett in die Hocke. Anders atmete in einem zitternden Keuchen aus, und Henrik sah aus, als hätte er sich am liebsten übergeben, als der Atem sein Gesicht traf. Ohne zu Anders zu sprechen, sagte er: »Und wie hast du das herausgefunden?«
»Was sollen wir machen?«, fragte Björn.
»Da ist nichts zu machen«, antwortete Henrik. »Im Moment jedenfalls nicht.«
Er warf einen Blick in den Eimer und schien zufrieden mit dem, was er dort sah.
Es wirbelte und plätscherte darin. Henrik richtete sich auf und türmte sich über Anders auf. Er beugte sich herab und flüsterte in Anders’ Ohr: »Du darfst auch nicht hier sein, kleine Maja. Dich holen wir auch noch.«
Björn nahm den Eimer, und sie verließen das Zimmer. Anders hörte ihre Schritte im Wohnzimmer und im Flur. Dann wurde die Haustür zugeschlagen. Er blieb regungslos liegen und starrte Elins leblosen Körper auf dem Fußboden und die Strähnen ihrer nassen Haare an, die wie schwarze Sonnenstrahlen von ihrem Kopf abstanden.
Dass er sich so vor dem Eisclown gefürchtet, Willi-Wiberg-Phrasen gedroschen und mit Perlen gebastelt hatte und immer nur in ihrem Bett liegen und Tino Tatz lesen wollte. Ich bin so klein.
Endlich begriff er, was ihre Worte bedeuteten:
Trag mich.
2
BESESSEN
Solang der Kahn noch fährt
Solang das Herz noch schlägt
Solang die Sonne noch glitzert
Auf den Wellen so blau.
EVERT TAUBE – SOLANG DER KAHN NOCH FÄHRT
KÖRPER IM WASSER
Hüte dich vor dem Meer, hüte dich vor dem Meer
Das Meer ist so groß, das Meer ist so
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