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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Ihm war, als hinge eine Ankerkette um seinen Hals. Sein Kopf wollte herabsinken, und er hatte nur noch den Wunsch, sich hinlegen zu dürfen. Ab und zu blitzten weiße Punkte in seinen Augen auf, und er wusste nicht, ob es an seiner Müdigkeit lag oder der Wermut seinen erschöpften Körper vergiftet hatte.
    »Irgendetwas stimmt mit mir nicht«, flüsterte Elin. »Ich bin geisteskrank, ich sollte mich umbringen.«
    Anders saß auf seine Knie gestützt da und glotzte den Kleiderschrank an. Er wusste nicht, was besser war: es zu erzählen oder es nicht zu erzählen. Schließlich suchte er Zuflucht in einer schlichten Weisheit: Es ist besser, Bescheid zu wissen. Den Satz hatte er oft in Verbindung mit Krankheiten gehört, und er wusste nicht, ob er auch hier galt, konnte sich darüber aber einfach nicht länger den Kopf zerbrechen.
    »Elin«, sagte er. »Jemand zwingt dich zu all diesen Sachen. Den Operationen. Den Dingen, die du nachts machst. Zu deinen Träumen. Das sind nicht deine Träume.«
    In der nachfolgenden Stille fiel Anders auf, dass der Feueralarm verstummt war, er wusste nicht, seit wann. Er hörte Elins Atemzüge, das Rauschen seines vergifteten Bluts in den Ohren.
    »Wessen Träume sind es dann?«, fragte sie.
    »Die einer anderen Frau. Die in dir ist.«
    »Wie das?«
    »Das weiß ich nicht. Aber sie lebte auf Kattudden, bevor euer Haus dort gebaut wurde. Sie will sich rächen, und dazu benutzt sie dich.« Anders zögerte, ergänzte dann jedoch: »Sie sah aus, wie du jetzt aussiehst. Sie hat dich dazu gezwungen … sie herbeizuoperieren.«
    Wenn Anders noch genügend Energie gehabt hätte, sich zu wundern, hätte ihn verblüfft, was nun geschah. Elin atmete auf, es war ein langer, tiefer Seufzer, und ihr Körper sank in sich zu sammen und entspannte sich. Sie nickte bedächtig und sagte: »Im Grunde habe ich es gewusst.«
    Anders lehnte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Die weißen Blitze flammten auf und verschwanden.
    Es ist besser, Bescheid zu wissen. Es ist besser …
    Dann musste er für ein paar Sekunden eingenickt sein, weil er aufwachte, als er dabei war, zur Seite zu fallen. Elin sagte leise: »Leg dich hin.«
    Anders stand auf, machte einen Schritt und ließ sich in Majas Bett fallen. Sein Kopf ruhte auf dem Kissen, und er tastete nach der Decke und zog sie über sich. Schon halb im Schlaf hörte er Elin sagen: »Danke. Dass du mir gefolgt bist und mir geholfen hast.«
    Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber noch ehe ihm die Worte über die Lippen kamen, schlief er bereits wieder.
    Der Schrei eines Kindes. Ein einziger langer, klagender Ton.
    Schrei war das falsche Wort, klagend war das falsche Wort. Kind war das falsche Wort. Es war der monotone Ton puren Grauens, den ein menschliches Wesen von sich gab, wenn es in eine Ecke gezwängt sah, wie das, wovor es sich am meisten fürchtete, unerbittlich näher kam. Die Zunge wird nicht benutzt, die Lippen werden nicht benutzt, es wird nur Luft aus den Lungen gepresst, die Resonanz durch einen zugeschnürten Hals bekam. Ein einziger Ton, der Urton, der durchs Brustbein vibriert, wenn der Tod kommt.
    Anders erwachte und sah alles wie durch einen Nebel. Im Zimmer war es noch dunkel, und der Ton kam aus dem großen Bett und war so schrecklich, dass er Angst bekam. Er kauerte sich innerlich zusammen, zog die Decke fester um sich. Der Ton entströmte weiter Elin. Irgendetwas ängstigte sie zu Tode.
    Man hörte Schritte auf der Eingangstreppe, dann klopfte es an die Tür. Drei harte, markante Schläge. Elins lang gezogener Schrei ging etwas höher und drang als Vibration in Anders’ Körper, setzte sich in ihm fort und ließ ihn zittern.
    Ein letzter Rest Vernunft in ihm starrte die Axt an, die neben dem Türpfosten stand, und sagte ihm, dass er aufspringen und sie ergreifen sollte, aber der blinde Schrecken fesselte seinen Körper an das Bett.
    Der Eisclown. Der Eisclown kommt.
    Die Haustür wurde aufgebrochen, und Anders zog sich die Decke über den Kopf. Seine Zähne klapperten, und er zog die Füße unter die Decke, nicht der kleinste Teil von ihm durfte herauslugen.
    Die Axt! Nimm die Axt!
    Schwere Schritte näherten sich durch den Flur, aber er war unfähig, sich zu bewegen. Durch einen Spalt in der Decke sah er die Axt, und sein Wille reckte sich nach ihr, aber der Körper weigerte sich. Elins Gesang des Grauens steigerte sich nochmals, und es wurde warm auf Anders’ Pobacken, als er in die Hose machte.
    Schritte im

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