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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Abstellkammern, in der die Kleider und der Krempel vergangener Generationen aufbewahrt wurden. Anders blieb mit Anna-Greta in der Küche zurück. Er betrachtete sehnsüchtig das leere Schnapsglas, aber durch das Wegstellen der Flasche hatte Anna-Greta ein deutliches Zeichen gesetzt.
    »Er schützt gegen das Meer«, sagte Anders. »Was bedeutet das?«
    »Darüber sprechen wir ein anderes Mal.«
    »Und wann?«
    Anna-Greta antwortete nicht. Anders musterte die Fotografie von Elsa. Sie sah zornig aus, zornig und verbittert. Sahen die Menschen auf den anderen Aufnahmen aus, als wäre es harte Arbeit, fotografiert zu werden, wirkte Elsa, als empfände sie es als eine Beleidigung. Ihr wütender Blick erreichte ihn über siebzig Jahre hinweg, und es war ihm nicht wohl dabei.
    »War Elsa immer schon allein?«, fragte Anders.
    »Nein, sie hatte einen Mann, der bedeutend älter war als sie. Ich glaube, er hieß Anton. Er hatte es am Herzen, sodass er … einen Herzanfall bekam und starb.«
    »Als er beim Fischen war?«
    »Ja. Woher weißt du das?«
    »Und dann hat sie ihn in seinem Boot gefunden. Einige der Fische lebten noch, aber er war tot.«
    »Das weiß ich nicht, aber sie hat ihn gefunden, das stimmt. Wer hat dir das erzählt?«
    »Elin.«
    Simon kam mit einer labberigen Hose in die Küche, die vom Militär zu stammen schien. Er gab sie zusammen mit einem Gürtel Anders und sagte: »Ich weiß nicht, aber das ist die einzige, die ich gefunden habe.«
    Anders zog die viel zu große Hose an und zurrte sie mit dem Gürtel um die Taille fest. Die weiten Hosenbeine waren angenehm, weil sie nicht über seine Wunden scheuerten. Simon hatte die Arme verschränkt und musterte ihn.
    »Willst du wirklich wieder rausgehen? Ist das gut? Soll ich dich begleiten?«
    Anders verzog den Mund. »Ich glaube nicht, dass du da viel tun kannst, und außerdem …« Anders nickte zum oberen Küchenschrank »bin ich jetzt doch geschützt, nicht wahr?«
    »Darüber weiß ich nichts, und ich glaube im Grunde auch nicht, dass Anna-Greta es weiß.«
    »Das ist wahr«, bestätigte Anna-Greta. »Es ist nur Hörensagen.«
    »Ich gehe runter und sehe nach«, sagte Anders. »Ich ruf euch an. Ob sie nun da ist oder nicht. Dann müssen wir sehen, was wir tun.«
    Er lieh sich eine Taschenlampe, zog die Hose hoch und schnitt eine Grimasse, als es in den Wunden spannte. Auf seinem Weg zur Haustür blieb er stehen und drehte sich um. Ihm war unvermittelt etwas klar geworden. Er hatte das Wissen schon recht lange in sich getragen, aber erst in diesem Moment wurde es so selbstverständlich, dass es sich aussprechen ließ.
    »Gespenster«, sagte er. »Es gibt Gespenster.«
    Er nickte Simon und Anna-Greta zu und trat in die nächtliche Dunkelheit hinaus. Bevor er die Taschenlampe anmachte, suchten seine Augen den Himmel ab. Gab es da nicht einen orangefarbenen Schimmer in den dünnen Wolken über Kattudden? Doch, allerdings, aber nichts hätte ihn weniger interessie ren können. Dennoch machte er kehrt, ging in die Küche zurück und sagte teilnahmslos: »Ich glaube, es brennt wieder auf Kattudden.«
    Wenn Simon und Anna-Greta sich der Sache annehmen wollten, durften sie das von ihm aus gerne tun. Er konnte nicht mehr. Die Nacht war lang gewesen, und es war fast drei. Er wollte, dass Elin schlafend im Bett lag, wenn er nach Hause kam, als wäre all das, was ihr zugestoßen war, im Schlaf geschehen, sodass man es wieder vergessen konnte.
    Als er sich dem Haus näherte, machte er einen Abstecher zum Werkzeugschuppen und holte eine Axt. Möglicherweise war sie genauso nutzlos wie der Schläger, den er benutzt hatte, aber es war ein gutes Gefühl, etwas in der Hand zu halten, und vielleicht hatte eine scharfe Waffe ja auch eine bessere Wirkung.
    Als er die Klinke der Haustür herabdrückte, wurde im Dorf der Feueralarm ausgelöst. Die Tür war abgeschlossen. Er dachte nach. Nein, er hatte sie nicht abgeschlossen, als er hinausging. Und im Küchenfenster brannte kein Licht. Es war an gewesen, als er ging.
    »Elin!«, rief er durch die verschlossene Tür. »Elin, bist du da?«
    Die Tür war alt und schlecht, und die geduldige Arbeit vieler Winter hatte dazu geführt, dass sie sich in ihrem Rahmen verzogen hatte. Er presste die Schneide der Axt in den breiten Spalt über dem Schloss und hebelte. Die Tür öffnete sich mit einem Knacken, und er trat in den Flur und sagte vorsichtig: »Elin? Elin, ich bin es nur.«
    Er zog die Schuhe aus und schloss die nun noch schiefere

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