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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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gedrosselt, der Motor in den Leerlauf geschaltet, und Anders atmete noch einen Mund voll kaltes Wasser ein, ehe eine Hand in seine Haare griff und ihn hochzog.
    Im nächsten Moment wurde er auf unfassbare Weise ins Boot gehoben. Das Wasser schien ihn von sich zu stoßen, und er plumpste auf den Boden des Boots.
    Er lag auf dem Rücken und blickte zu den Sternen und Simons Gesicht auf. Eine geballte Faust wurde Anders auf die Stirn gelegt, und unmittelbar bevor er ohnmächtig wurde, glaubte er zu sehen, wie das Wasser in Dämpfen von seinem Körper abhob, und er spürte eine Welle echter Wärme durch sein Blut schwappen. Danach fühlte und sah er nichts mehr.

WUNDERSAME WEGE
    Dann trag mich. Trag mich bis nach Haus.
    Trag mich den Pfad hinauf,
    um die Hausecke, über die Schwelle, ins Haus.
    Heb mich hinein zwischen deinen Händen
    behutsam geöffnet wie Lider.
    MIA AJVIDE – WENN EIN MÄDCHEN VERSCHWINDEN WILL
    Noch einer für das Meer
    Das Boot lag am Steg, und Anders lag auf seinem Boden. Mit Spiritus’ Hilfe war Simon weiter damit beschäftigt, Anders’ Kleider zu trocknen und seinen Körper zu wärmen. Er hatte das Wasser gebeten, Anders von sich zu werfen, aber Hilfe, um ihn an Land zu schaffen, konnte er nicht erwarten.
    Den ganzen Nachmittag hatten Simon und Anna-Greta Anders’ Haus im Auge behalten, um zu schauen, ob das Licht anging, ob Anders nach Hause kam. Sie hatten eine Runde durchs Dorf gedreht und nach ihm gesucht, sie hatten angerufen, aber er war nicht an den Apparat gegangen. Als es Abend wurde, glaubten sie, dass er das Zubringerboot genommen und Domarö verlassen hatte. Hoffentlich war es so.
    Voller Befürchtungen ging Simon zu seinem Haus, um für den morgigen Tag Kleider anzuprobieren.
    Seit Anders auf die Insel zurückgekehrt war, hatte Simon das geschönte Bild von Maja nie infrage gestellt, weil er keinen Grund dazu gesehen hatte. Dies war nun einmal Anders’ Art, seine Trauer zu verarbeiten, und solange es ihm half, durfte er, was Simon betraf, gerne weiter in seiner Illusion leben.
    Mittlerweile hatte sich die Situation jedoch verändert.
    Sie war eine andere geworden, als Elin Grönwall auf Kattudden Häuser niederzubrennen begann, als Karl-Erik und Lasse Bergwall mit ihren Motorsägen Amok liefen und Sofia Bergwall andere Kinder ins Meer stieß. Als die bösen Menschen nach Domarö zurückkehrten.
    Simon wusste nicht, ob man Maja wirklich böse nennen konnte. Auch er hatte Auseinandersetzungen mit ihr gehabt, und ein »braves« Kind war sie definitiv nicht. Sie war launisch, hyperaktiv und jähzornig. Sie lachte, wenn jemand hinfiel und sich wehtat, oh ja. Es machte ihr Spaß, Schmetterlinge zwischen ihren Fingern zu Pulver zu zerreiben, oh ja. Aber böse? Simon hatte auch einen unbändigen Appetit auf Leben und eine Fantasie gesehen, die mit etwas Glück im Laufe der Jahre den richtigen Weg gefunden hätte.
    Aber trotzdem. Trotzdem.
    Wenn Anders wirklich Maja oder einen Teil von Maja in seinem Inneren trug, war es nicht gut, wenn er sich als jemand sah, der mit einem Engel schwanger ging. Es war nicht gesagt, dass Maja ihm wohlgesonnen war, dessen musste er sich bewusst sein.
    In diesen Bahnen hatte Simon überlegt, als er Anders nicht bestätigen mochte, wie gut seine Tochter war, als dies von ihm gefordert wurde. Die neue Lage ließ es nicht mehr zu.
    Anders lag zitternd auf dem Boden des Boots, sodass Simon ihm seine Faust auf die Stirn legte und einen weiteren Wärmeimpuls durch sein Blut sandte. Anders’ linke Hand umklammerte immer noch den roten Schneeanzug, einen Overall, den auch Simon wiedererkannte.
    Wie ist das möglich?
    Simon hatte in seinem Schlafzimmer vor dem Spiegel gestanden und Kleider vor sich hochgehalten, als er den Ruf hörte: »Bleibt stehen, ihr Schweine! Stehenbleiben!« Er hatte die Kleider von sich geworfen und war zum Küchenfenster gelaufen.
    Es war schwierig, im spärlichen Mondlicht etwas zu erkennen, und was er dort unten am Bootssteg sah, trotzte jeglicher Vernunft. Er war jedoch durchaus fähig zu erkennen, dass es sich um einen Notfall handelte, und humpelte, so schnell er konnte, aus dem Haus und zum Steg hinunter.
    Als er sein Boot erreichte, war Anders weit draußen auf der Förde stehen geblieben.
    Spiritus, Spiritus …
    Glücklicherweise hatte Simon die Streichholzschachtel in der Hosentasche gehabt, und als sich seine Finger um sie schlossen, hatte er das Gefühl zu erkennen, wie das Ganze zusammenhing. Auch Anders musste einen

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