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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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des Ganzen so ausdrücken ließ: Er hatte niemals gewusst, wer Maja war. Er war zu sehr mit ihrer Betreuung und allem Möglichen beschäftigt gewesen. Wenn Kinder böse sein konnten, war Maja dann wirklich böse? Er wusste es nicht. Er kannte sie nicht.
    Und jetzt hatte sie ihn verlassen.
    Über den Himmel
    »Papa? Was passiert, wenn man stirbt?«
    »Nun, es gibt …«
    »Ich glaube, dass man in den Himmel kommt, glaubst du das nicht?«
    »… doch.«
    »Und wie ist es da? Gibt es da Engel und Wolken und so?«
    »Fändest du das gut?«
    »Nein. Ich hasse Engel. Die sind superhässlich und sehen blöd aus. Bei denen will ich nicht sein.«
    »Wo willst du denn sein?«
    »Hier. Aber im Himmel.«
    »Dann wird es bestimmt auch so kommen.«
    »Wird es nicht! Das entscheidet doch Gott!«
    »Aber wenn das so ist, könnte Gott doch entscheiden, dass jeder bekommt, was er haben will.«
    »Das geht nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Dann würde doch jeder einen eigenen Himmel haben, und das würde Gott nicht gefallen.«
    »Glaubst du nicht?«
    »Nee. Gott ist nämlich ein Idiot. Er hat alles schlecht gemacht.«
    Besuch
    Es war fast acht. Anders saß noch immer am Küchentisch, auf dem die Scherben seines früheren Lebens ausgebreitet lagen, und versuchte etwas zusammenzufügen, das ihm helfen konnte aufzustehen, als er das Moped hörte.
    Sie kommen.
    Um ein Haar wäre es ihm gelungen, Henrik und Björn zu vergessen. Nach dem langen Schlaf waren sie zu einem fernen Traum reduziert worden, zu etwas, das vor langer Zeit passiert war und nichts mit ihm zu tun hatte. Aber jetzt kamen sie. Die traurigsten Jungs der Welt, die beschlossen hatten, sich in den Dienst des Meeres zu stellen. Jetzt kamen sie, um ihn zu holen.
    Kommt doch.
    Der Mopedmotor jaulte, als würden sie die ganze Zeit im ersten Gang fahren. Vielleicht war es ihm ja doch gelungen, es mit dem Feuer zu beschädigen. Der brüllende Motor näherte sich dem Haus, und er wartete darauf, dass er ausgeschaltet und die Haustür geöffnet wurde. Er resignierte, legte auf der Tischplatte eine Hand auf die andere und wartete ab, was passieren würde.
    Der Motor ging nicht aus, als sie das Haus erreichten, sondern bewegte sich an der Wand entlang über die Felsen, bis er leiser wurde und vor dem Küchenfenster im Leerlauf knatterte. Sie warteten auf ihn. Er stützte sich auf den Tisch und stand auf, ließ die Decke wie einen Mantel auf seinen Schultern ruhen und trat ans Fenster.
    Unten auf den Felsen sah er sie als dunkle Konturen. Henrik saß auf dem Sattel und Björn auf der Ladefläche. Anders löste die Haken und schob das Fenster auf. Henrik drosselte den Motor zu einem dumpfen Tuckern.
    »Was wollt ihr?«, fragte Anders.
    »Wir mögen zwar tot und verschwunden sein«, sagte Henrik. »Aber wir werden an deiner Seite sein, bis zu dem Tag …«
    »Hör auf damit. Was wollt ihr?«
    »Wir wollen dir jeden Zahn ausschlagen, den du im Schädel hast, weil du störst. Du sollst aufhören zu stören. Wenn ich du wäre, würde ich es lassen.«
    »Und warum?«
    »Weil jemandem was Schlimmes zustoßen könnte, der dir etwas bedeutet. Tut mir leid, das war kein Zitat. Aber sagen wir es mal so. Manche Mädchen sind größer als andere, und die Felsen rufen dir zu, dass …«
    Henrik machte mit seinen manischen Zitatkonstruktionen weiter, aber Anders hörte nicht mehr hin. Er hatte sich vom Fenster abgewandt und suchte nach seiner Taschenlampe. Björn hatte etwas auf seinem Schoß, und wenn es das war, was er glaubte …
    Die Taschenlampe lag in der Krimskramsschublade. Er riss sie auf, schaltete die Lampe an, eilte zum Fenster und richtete den Lichtstrahl auf Björn, während Henrik weiterleierte: »… es gab Zeiten, da wollte ich sie ermorden, aber du weißt, dass ich niemals …«
    Das Licht der Taschenlampe fiel auf Björn. Er saß im Schneidersitz auf der Ladefläche und hielt einen Kinderkörper in einem roten Schneeanzug in den Armen. Die Reflexstreifen an den Seiten leuchteten weiß, es war Majas Schneeanzug, den sie an jenem letzten Tag getragen hatte.
    Anders mochte zwar Stunden nur mit Denken verbracht haben, aber jetzt wurden alle Gedanken in einer Sekunde weggewischt, und es gab nur noch Handlung. Er lief durch die Küche ins Wohnzimmer, während der Mopedmotor hinter ihm wieder auf Hochtouren lief.
    Die Verandatür hatte sich verzogen, und er verlor wertvolle Sekunden, als sie sich weigerte aufzugehen. Er warf sich mit der Schulter dagegen und stolperte auf die Veranda,

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