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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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auf sie, aber das spielte keine Rolle mehr. Sie hatte keinen Kopf, keine Hände, keine Füße.
    Während sich die Dunkelheit um seinen Kopf schloss, hörte er in der Ferne Möwen. Möwen, die nachts flogen. Majas Körper zerbrach unter seinem, wurde zusammengepresst.
    Er kauerte sich auf dem Eis zusammen, hob den Kopf ein wenig und richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf den Kragen des Schneeanzugs. Es war kein Körper in dem Overall. Lahm streckte er die Hand aus und tastete nach dem, was stattdessen in ihm war. Tang. Der Schneeanzug war mit feuchtem Blasentang gefüllt.
    Er lag für einen Moment vollkommen still und dachte darüber nach, während die Schreie der Möwen immer näher kamen. Er spürte ein kaltes Rinnsal über sein Ohr laufen und hob den Kopf, zog die Beine unter sich und kam mit dem Schneeanzug in den Armen auf die Beine.
    Hundert Meter weiter auf dem Meer sah er das Moped eine Kurve fahren. Der vordere Scheinwerfer wurde wie ein boshaftes Augen auf ihn gerichtet und kam näher.
    Eine Falle. Das war eine Falle.
    Er drehte sich um und stolperte ein paar Schritte Richtung Land. Es plätscherte und spritzte um seine Füße. Das Eis, auf dem er kurz zuvor noch gelaufen war, begann zu schmelzen. Er kam noch zehn Meter weit, dann waren seine Füße unter Wasser, und der Eissteg unter ihm wankte.
    Er hielt den Overall fest in den Armen und lief weiter. Ein paar Meter weiter brach das Eis unter ihm, und er sank ins Wasser. Er hatte keine Waffe, ihn sah nur der Mond. Er lag in der eiskalten See, und der Scheinwerfer des Mopeds kam immer näher.
    Clever. Das war wirklich clever von ihnen.
    Ein winziges Detail hatten sie übersehen. Der Blasentang im Schneeanzug erfüllte ein klein wenig die Funktion einer Schwimmweste. Er sank nicht sofort. Er bekam noch eine Minute Aufschub, ehe ihn die Kälte und das Wasser holten.
    Er konnte sich kaum bewegen. Sein Körper war auch vorher schon durchgefroren gewesen, aber jetzt hatte er das Gefühl, als klirrte sein Skelett von brechendem Eis, als er aus schierem und sinnlosem Selbsterhaltungstrieb zum Land zu paddeln versuchte.
    Das Moped fuhr an ihm vorbei, und Henrik und Björn bremsten und blockierten ihm den Weg zur Insel. Er sah sie nur undeutlich, als wäre vor seinen Augen eine Haut aus Eis gefroren. Hinter ihm bewegten sich Hunderte dünner Silhouetten vor dem Sternenhimmel.
    Die Möwen wollen auch mitmischen.
    Eine Art Frieden senkte sich auf ihn herab, ein bisschen Wärme. Es war vorbei. Seine Mühen waren vergeblich gewesen, aber das spielte keine Rolle mehr. Ein bisschen hatte ihm das Ganze trotz allem gegeben. Er hatte wenigstens ihren Schneeanzug wiedersehen dürfen. Immerhin etwas. Er würde ihn in sein nasses Grab mitnehmen. Schade nur, dass die Möwen ihn kratzen, ihm vielleicht sogar noch die Augen aushacken würden, ehe er …
    »Komm raus und finde sie, die du liebst!«, schrie Henrik, ehe er von einer Wolke aus Vogelkörpern umhüllt wurde. Die gellenden Schreie der Möwen erfüllten die Nacht, als sie auf die Jungen auf dem Lastenmoped herabstießen, an ihren Haaren rissen und in ihre Gesichter hackten.
    Björn richtete sich auf der Ladefläche auf und schlug nach den wild flatternden Vögeln, aber für jeden Vogel, den er fortschlug, gab es fünf andere, die sich auf ihn setzten und seine Kleider durchlöcherten, die Schnäbel in sein unmenschliches Fleisch stießen.
    Es zuckte in Anders’ Lidern, er wollte nur noch schlafen, versinken. Ihm war inzwischen warm, und er betrachtete ein schönes Spektakel. Die weißen Flügel der Möwen, die im Mondschein schimmerten, ihre rabiate Verteidigung von ihm, dem kleinen Menschen.
    Danke, ihr schönen Vögel .
    Seine linke Hand umklammerte Majas Overall, und seine Beinbewegungen hörten auf, während Henrik und Björn Gas gaben und vom Möwenschwarm verfolgt Richtung Gåvasten verschwanden. Anders paddelte kraftlos mit der rechten Hand, um sich so lange über Wasser halten zu können, dass er diesen schönen Anblick noch ein wenig genießen konnte.
    Gute Nacht, ihr kleinen, gluckernden Wellen. Gute Nacht, ihr kleinen, gluckernden Wellen …
    Er dachte, dass Henrik und Björn erneut näher kamen, nachdem sie die Möwen abgeschüttelt hatten. Doch das lauter werdende Motorengeräusch klang anders. Auch seine Gedanken bewegten sich unterkühlt und langsam, während er sank. Das Wasser trübte seinen Blick und floss in seinen Mund, als ihm klar wurde, dass dies Simons Motor sein musste.
    Das Gas wurde

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