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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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von wo aus er den Scheinwerfer des Lastenmopeds über die Felsen zum Meer hinunterholpern sah.
    Jetzt hab ich euch, ihr Schweine. Da kommt ihr nicht weiter.
    Wäre er stehen geblieben, um einen Moment nachzudenken, hätte er eventuell erkannt, dass Henrik und Björn nicht so dumm waren zu glauben, dass er seelenruhig zusehen würde, wie sie mit seiner Tochter davonfuhren, und wie seltsam es war, dass sie Kurs auf das Meer nahmen.
    Aber er dachte nicht nach. Er hatte gesehen, dass Björn Maja in den Armen hielt, hatte gehört, dass Henrik ihr wehzutun drohte, und handelte danach. Auf Strümpfen nahm er in zwei Sätzen die Verandatreppe und sah, dass Henrik und Björn das Ufer erreicht hatten.
    Anders’ Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen. Dort kamen sie nicht weiter. Sie mochten Gespenster sein, aber ihr Moped war ein gewöhnliches Moped und konnte nicht auf dem Wasser fahren. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass er ihnen vorher schon begegnet war, dass er ihnen auch diesmal ohne Waffe gegenübertrat. Sein einziger Gedanke war: Jetzt habe ich euch , und das Wissen seines Körpers, des Wermuts, dass sie ihm umgekehrt nichts anhaben konnten.
    Als sie aufs Wasser hinausfuhren, war er nur noch fünf Meter hinter ihnen. Anders’ Körper bewegte sich unwillkürlich weiter, bis er am Ufer hinfiel. Das Lastenmoped bewegte sich am Bootssteg vorbei über die Wasserfläche, und Henrik winkte ihm zum Abschied zu. Anders blieb mit geballten Fäusten am Ufer zurück, ihm rauschte das Blut durch den Schädel.
    Das ist unmöglich! Das können sie nicht!
    »Bleibt stehen, Ihr Schweine! Stehenbleiben!«
    Henrik winkte erneut mit den Fingern über die Schulter hinweg, und Anders rannte in blinder Wut ins Wasser hinaus. Das kein Wasser war. Er war schon ein paar Meter weit gekommen, als er erkannte, dass er auf Eis stand. Für einen Moment blieb er aus schierer, körperlicher Verblüffung stehen. Er hielt noch immer die Taschenlampe in der Hand und leuchtete um sich, vor sich.
    Das Meer war noch nicht zugefroren, aber hinter Henrik und Björn erstreckte sich eine Eisstraße, die breit genug war, um dem Lastenmoped Platz zu bieten, eine Brücke aus gefrorenem Wasser, die von dem Punkt, an dem sie aufs Wasser gefahren waren, aufs Meer hinausführte.
    Anders lief.
    Unter anderen Umständen hätte er sich wohl gewundert, dass er an seinem Bootssteg vorbeilief, während zu beiden Seiten leise Wellen plätscherten, aber er sah nur die direkte Linie zwischen seinem Körper und Majas, die Entfernung, die er zurücklegen musste, ehe er sie in seine Arme schließen durfte.
    Er lief mit langen Schritten, und seine nassen Strümpfe froren bei jedem Auftreten leicht an, ehe sie wieder abgezogen wurden, was ihm einen ausgezeichneten Halt gab, und er holte auf, er holte auf. Ehe er sich aufs Wasser hinausbewegt hatte, waren Henrik und Björn zwanzig Meter vor ihm gewesen. Jetzt schrumpfte der Abstand mit jedem seiner Schritte ein bisschen. Das Moped fuhr nicht sonderlich schnell, er würde die beiden einholen.
    Und dann?
    Darüber dachte er nicht nach.
    Der Mond stand hoch und schuf eine silbrige Straße, die schräg auf die Eisstraße zuführte. Die Lichtbündel Gåvastens wurden direkt auf ihn geworfen. Das war ihr Ziel, aber sie würden es nicht erreichen. Er würde sie sich schnappen. Irgendwie. Inzwischen war er ungefähr dreihundert Meter hinausgelaufen. Er spürte seine Füße nicht mehr, sie waren nur noch ein Paar gefrorener Klumpen, die ihn vorwärtsstampften. Er war dem Moped so nah, dass er einzelne Strähnen von Henriks Haar im Mondlicht erkennen konnte, und ermahnte seinen Körper, zu einem letzten Spurt anzusetzen, als ein Klumpen von der Ladefläche fiel. Anders rutschte aus, stolperte, fiel auf der Eisstraße auf die Knie und leuchtete das Bündel vor sich an, während das Moped weiterfuhr.
    Maja, Maja, Maja …
    Kein Zweifel, sie war es. Als er mit der Taschenlampe leuchtete, sah er den Flicken auf der Brust des Schneeanzugs. Maja hatte ein Messer in den Anzug gestochen, als sie Probleme dabei hatte, ihn anzuziehen, und Cecilia hatte den Overall mit einem Flicken mit Tino-Tatz-Motiv genäht.
    »Liebling? Kleines?«
    Er kroch zu ihr und zog sie an sich. Als er den Schneeanzug in die Arme schloss, schrie er auf.
    Sie hatte keinen Kopf.
    Was haben sie getan, was haben sie getan, was haben sie …
    Ihm wurde schwarz vor Augen, und er fiel vornüber auf den kleinen Körper, für den es keine Rettung mehr gab. Er fiel direkt

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