Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
Küchenherd hing.
    Er hörte so aufmerksam zu wie möglich, dennoch kam es ihm vor, als wäre dies irgendeine Geschichte, eine Geschichte, die ihn nichts anging. In seiner war es um Maja gegangen, und diese Geschichte war vorbei. Das war der Gedanke, der unablässig in seinem Schädel rumorte wie ein kreischender Bohrer beim Zahnarzt: Sie haben mich reingelegt. Die zwei. Und sie.
    Maja war an allem beteiligt gewesen. Sie hatte ihn verlassen und war zu ihnen zurückgegangen. Sie war jetzt ein böser Geist, eine von all den bösartigen Menschen, die umgebracht oder ge opfert worden oder freiwillig zum Meer gegangen waren. Das Ganze war ein Spiel gewesen, um ihn hereinzulegen, ihn zu locken.
    Nach Gåvasten.
    Und er war hingefahren. Wenn die Möwen nicht gewesen wären, hätten sie sich ihn vermutlich schon tagsüber geschnappt. Die Vögel waren gar nicht seine Feinde gewesen, sie hatten ihn beschützt und eine Wand errichtet zwischen ihm und dem, was ihn haben wollte.
    Du hast mich mitgezogen. Und dann hast du mich verlassen.
    Es war sich Majas Gegenwart immer bewusst gewesen. Anfangs hatte er geglaubt, dass sie sich im Haus aufhielt, dann erkannt, dass sie in seinem Körper war. Jetzt hatte sie ihn verlassen. Er wusste es. Sie hatte getan, was sie tun sollte. Und ihn anschließend verlassen.
    Die Stunden vergingen, und er stellte die richtigen Fragen, damit die Geschichte weiterging. Er hatte Angst, mit seinen Gedanken alleingelassen zu werden.
    Gåvasten. Gabenstein.
    Der Stein der Gaben. Der gab. Und nahm. Und nahm.
    Jetzt hatte er ihm alles genommen. Anders hörte Simons und Anna-Gretas Stimmen nicht mehr. Er starrte Majas roten Schneeanzug an und hatte den Schlusspunkt erreicht. Es gab nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnte.
    Warum soll ich leben?
    Während die Stimmen im Hintergrund wisperten, gab er sich alle Mühe, einen einzigen Grund dafür zu finden, weiter zwischen Himmel und Erde umherzukriechen. Er fand keinen. Ein Mensch bekommt eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten, eine gewisse Menge von Wegen, die er einschlagen kann. Er hatte den Endpunkt aller erreicht.
    Was ihm noch blieb, war die Angst vor Schmerz.
    Er merkte nicht, dass Simons und Anna-Gretas Stimmen verstummt waren, während er die verschiedenen Möglichkeiten durchging.
    Ertränken wollte er sich auf gar keinen Fall. Erhängen war grauenhaft und außerdem keine sichere Methode. Tabletten hatte er keine. Sich totzusaufen dauerte zu lange.
    Für einen kurzen Moment sah er sich von außen und stellte fest, dass diese Gedanken ihm inneren Frieden schenkten. Er hatte sich endlich entschieden, und es war ein … nun ja, kein gutes Gefühl, aber es tat weniger weh. Tief in ihm gab es sogar einen Funken kribbelnder Erwartung.
    Dass es besser wird.
    Die letzte, schwach flatternde Möglichkeit, dass auf der anderen Seite tatsächlich etwas existierte. Ein von Freude oder Glück erfüllter Ort oder Zustand. Ein Ort, der für ihn bestimmt war. Das entsprach zwar nicht seinem Glauben, aber …
    Alles ist möglich.
    Ja, alles war möglich. War das nicht in den letzten Wochen bewiesen worden? Wir wissen nichts, und alles ist möglich, warum dann nicht auch ein Himmel oder ein Paradies?
    Dann fiel sie ihm ein. Die Schrotflinte. Die in der Geschichte von Anna-Greta und Simon eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Er wusste, dass Anna-Greta sich nur ungern von Dingen trennte, also stand das Gewehr bestimmt irgendwo herum, möglicherweise in den Eckchen.
    Anders nickte für sich. Die Schrotflinte war gut. Sie erfüllte alle Bedingungen, die er stellen konnte. Es ging schnell, es war sicher, und es lag eine verquere Schönheit darin, jene Waffe zu benutzen, die seinen Vater und damit auch sein eigenes Leben gerettet hatte. Diesem Leben mit derselben Waffe ein Ende zu setzen.
    So wird’s gemacht.
    Als der Entschluss gefasst und die Vorgehensweise geklärt war, fiel ihm die Stille in der Küche auf. Er fürchtete, laut gesprochen zu haben, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, setzte ein neutrales Lächeln auf und wandte sich Simon und Anna-Greta zu.
    »Ja«, sagte er. »Viel Stoff zum Nachdenken.«
    Anna-Greta sah ihn eindringlich an, und Anders schloss seine Bemerkung mit einem nachträglichen Nicken ab, als hätten sie ihm tatsächlich Stoff zum Nachdenken gegeben, obwohl er nur Bruchstücke von allem gehört hatte, was sie ihm erzählt hatten.
    »Anders«, sagte Simon. »Solange … das alles geschieht, kannst du da unten nicht

Weitere Kostenlose Bücher