Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
Anna-Greta ihm herausgelegt hatte. Anschließend schlich er die Treppe hinunter. Auf der Küchenuhr war es Viertel nach elf. Simon und Anna-Greta waren zu ihren jeweiligen Erledigungen ausgeflogen, alles war, wie es sein sollte. Er öffnete die Tür am Fußende der Treppe.
    Die Eckchen waren zwei sieben oder acht Quadratmeter große Kammern und ursprünglich für Kinder gedacht gewesen, die jedoch niemals kamen. Heute waren sie mit allem möglichen Krempel und Erinnerungsstücken vollgestellt, die in Vergessenheit geraten waren, Dinge, für die man irgendwann einmal Verwendung finden würde, was aber niemals geschah, und direkt hinter der Tür gab es praktischere Sachen wie Werkzeug oder Malerutensilien.
    Er kam an einem Stapel Kleider oder Lumpen vorbei, der von einer schwedischen Flagge bedeckt war, und ging in die innere Kammer. Dort war es dunkler, weil das Fenster von einem alten, hochkant stehenden Tisch verdeckt wurde, und der Geruch von Schimmel und Alter war stärker. Er machte die Deckenlampe an.
    Der Raum war vollgestopft mit alten Netzen, landwirtschaftlichen Gerätschaften, Spinnrädern und ähnlichen Dingen. Ein Mitarbeiter eines Auktionshauses würde wahrscheinlich den nötigen Riecher dafür haben, in dem Gerümpel etwas Wertvolles aufzustöbern. Was er suchte, stand an einen kaputten Stuhl gelehnt vor ihm, als wartete es schon auf ihn.
    Er ging in die Hocke, griff nach der doppelläufigen Schrot flinte, drehte sie in den Händen und fand die Verschlussklappe zu den Läufen. Sie waren leer. Anders senkte den Kopf. Die Finsternis spitzte die Ohren und schlich näher heran, er spürte sie als einen anschwellenden Schmerz im Bauch.
    Er steckte sich die Gewehrläufe in den Mund, schloss die Lippen um sie und legte den Finger auf den Abzug. Die Finsternis blieb stehen, zog sich ein wenig zurück. Er bekam eine Galgenfrist.
    Seine Hände zitterten, als er die Flinte wegstellte und dazu überging, nach Patronen zu suchen. Er suchte auf dem Fußboden, auf Tischplatten und hinter Netzen. Das Grauen vor der Finsternis ließ ihn am ganzen Körper zittern, als er Stapel alter Zeitungen fortriss, die Hände hinter eine Kommode schob und Körner getrockneten Mäusekots unter seinen Fingern wegglitten.
    Er setzte sich abrupt auf, zog die unterste Kommodenschublade auf und fand zwischen alten Schleifsteinen und Schlüsseln zu Schlössern, die es längst nicht mehr gab, die Schachtel. Eine unansehnliche braune Pappschachtel mit sieben Patronen. Er atmete stöhnend auf, zog eine Patrone heraus und studierte sie.
    Das kleine, tödliche Instrument war wesentlich neueren Datums als die Flinte. Ein Zylinder aus dicker, roter Pappe umschloss einen dicht gepackten Klumpen aus bleiernen Schrotkörnern. Zuunterst saß das goldfarbene Zündhütchen mit seiner Ladung aus Pulverplättchen.
    Anders kratzte mit dem Fingernagel über den kleinen Kreis in der Mitte des Patronenbodens. Ein Schlag in diesen Kreis, und die Zündblättchen explodierten und schleuderten das Schrot hinaus.
    Eigentlich ganz einfach.
    Er zog die Flinte zu sich heran, steckte die Patronen in den Lauf und klappte die Läufe zu. Er ließ den Finger über den Hahn gleiten und zog ihn nach hinten, bis es klickte.
    So einfach.
    Die komplette Konstruktion der Flinte war nur Beiwerk um diesen dünnen Hahn herum, der mit seinem Schnabel gegen das Zündhütchen picken würde, und dann … Schluss. In wenigen Sekunden würde endlich Schluss sein.
    Es wäre vermutlich das Beste, den Gewehrkolben gegen eine Ecke zu lehnen, damit der Rückstoß die Flinte nicht aus ihrer Position schleuderte, sodass die Schrotkörner ihn nur zerfetzten, ohne ihn umzubringen. Er suchte die Wände des Raums ab, und während er feststellte, dass er die Ecke hinter den Netzen problemlos leer räumen konnte, wurde ihm gleichzeitig sein Egoismus bewusst.
    Es ist ihr Hochzeitstag.
    Aber er konnte nicht warten. Vorsichtig stellte er die Flinte ab und hob das äußerste Netz herab.
    Du kannst warten. Einen Tag kannst du noch warten.
    Das Netz über den Arm gelegt, hielt er inne und schüttelte den Kopf.
    Das musst du tun. So schwer es auch ist. Ihnen zuliebe. Das kannst du ihnen nicht antun.
    Er wusste, dass es stimmte. Das Netz an die Brust gedrückt, wartete er darauf, dass die Finsternis den Sprung machen würde, um ihn für sein Zögern zu bestrafen. Aber er kam nicht. Sie verließ sich auf ihn. Sie übte sich in Geduld.
    Morgen.
    Er wusste, dass Anna-Greta und Simon am nächsten Tag ihre

Weitere Kostenlose Bücher