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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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geschafft hatte, aber seither wurde er von allen als Kraftprotz betrachtet.
    Nach ihm meldete sich ein Mann, der auf der Werft in Nåten arbeitete, dessen Namen Anna-Greta jedoch nicht kannte. Sein kurzärmliges Hemd schien eine Nummer zu klein zu sein. Es spannte über den Muskeln, aber vielleicht war das genau der Effekt, den er mit seiner Kleiderwahl angestrebt hatte.
    Die beiden schritten auf der Stelle zur Tat, und mit ihren Bewegungen, mit ihren Augen geschah etwas. Als sie Ketten und Seile in die Hände nahmen, hörten sie im gleichen Moment auf, Simon als einen Menschen zu betrachten. Er war eine Nuss, die geknackt werden musste, ein Problem, das seiner Lösung harrte, nicht mehr und nicht weniger. Darüber hinaus brauchte man keine Rücksicht zu nehmen.
    Anna-Greta biss die Zähne zusammen, als der Mann aus Nåten die Ketten so fest zog und schlang, dass Simons Haut Falten warf und errötete. Das musste wehtun, aber Simon stand nur da und schloss, die Hände vor dem Unterleib gefaltet, die Augen. Zwei, drei Mal zuckten seine Lippen, als die Männer Schwung holten und die Ketten noch etwas fester anzogen, ehe sie die Vorhängeschlösser anbrachten.
    Schließlich waren sie zufrieden. Die beiden wischten sich den Schweiß aus der Stirn und nickten sich zu. Gut dreißig Kilo Ketten waren um Simon gewickelt und an verschiedenen Stellen mit vier Vorhängeschlössern verknüpft worden. Die Seile hatten kaum Verwendung gefunden. Nur an zwei Stellen waren sie benutzt worden, um die Ketten nachträglich noch mehr zu spannen.
    Die Männer traten zwei Schritte zurück und begutachteten ihr Werk. Sie waren zufrieden, was man durchaus verstehen konnte. Es schien vollkommen unmöglich, sich aus ihrem Gewebe aus Metall zu befreien.
    Simon öffnete die Augen, und Anna-Greta bekam ein flaues Gefühl im Bauch. Um den gefesselten Mann gab es einen menschenleeren Kreis von ungefähr zehn Metern Durchmesser.
    Einsam .
    Anna-Greta dachte: Einsam . Simon sah in diesem Augenblick so schrecklich einsam aus. Wie jemand, den man aus der menschlichen Gemeinschaft verstoßen und unschädlich gemacht hatte. Jetzt würde man ihn zu allem Überfluss ins Meer werfen. Das Ganze trug deutliche Züge einer Erniedrigung: dass jemand Menschen so etwas mit sich machen ließ. Eine Sekunde nachdem Simon die Augen geöffnet hatte, schien es, als wäre ihm das Gleiche klar geworden. Dieser Blick hatte bei Anna-Greta das flaue Gefühl ausgelöst, ehe er verschwand und Simon von dem einen zum anderen Mann sah und fragte: »Seid ihr zufrieden? Seid ihr überzeugt, dass ich mich jetzt nicht mehr befreien kann?«
    Ragnar griff nach einer Kette und zog an ihr, zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich würde es jedenfalls nicht schaffen.«
    Jemand aus dem Publikum schrie: »So musst du es mit deinen Kühen machen, Ragnar, dann laufen sie nicht überall in der Gegend herum.«
    Die Leute von Domarö lachten, die anderen verstanden nicht, was daran lustig sein sollte. Simon bat die beiden Männer, ihn zum Rand des Schiffsanlegers zu tragen. Anna-Greta und Johan wichen zurück, um ihnen Platz zu machen, und Simon wurde nur einen Meter von ihnen entfernt abgestellt. Simons Augen begegneten Anna-Gretas, und ein Lächeln huschte über seine Lippen. Anna-Greta versuchte sein Lächeln zu erwidern, aber es wollte ihr nicht recht gelingen.
    »Also gut«, sagte Simon. »Dann möchte ich eine dritte Person bitten, den Sack über mich zu stülpen und ihn zu verknoten.«
    Noch ehe jemand vortreten konnte, rief ein Mann aus den hinteren Reihen: »Und die Handschellen? Was passiert mit denen?«
    Simon wirkte plötzlich ein bisschen ängstlich. Er schloss still die Augen. Dann nickte er Göran zu, der mit den Handschellen vortrat und fragte: »Bist du sicher?«
    »Nein«, antwortete Simon. »Aber ich werde es wohl versuchen müssen.«
    Göran kratzte sich im Nacken und schien sich nicht entscheiden zu können. Fälle wie dieser waren wahrscheinlich nicht Bestandteil seiner Ausbildung an der Polizeihochschule gewesen. Schließlich schob er dann doch die Handschellen umständlich zwischen die Ketten und schloss sie um Simons Hände.
    Anna-Greta musste mittlerweile die Arme vor der Brust verschränken, damit die Fingernägel nicht zu den Zähnen hochschossen. Sie musterte Simons Gesicht, um wenn möglich herauszulesen, ob Simons Worte nur Theater gewesen waren, ob das dazugehörte, oder ob Simon tatsächlich bezweifelte, dass er es schaffen würde. Es ließ sich nicht

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