Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
können. Den Rächer der Enterbten. Aber nicht mit mir, mein Lieber. Mach noch ein bisschen so weiter, und ich schmeiße dich hochkant raus, wie ich es schon vor zehn Jahren hätte machen sollen.
In der Tat hatte Stoffhausen es mit einem Gegner zu tun, dem er nicht viel anhaben, ja, dem er nicht einmal drohen konnte. Einem nach einer bekömmlichen Erbschaft vor vielen Jahren finanziell unabhängigen, jedoch durch und durch dem Pressekodex des Deutschen Presserates verpflichteten Journalisten. Noch genau 33 Tage musste Charles Grieneisen bis zum Eintritt in die Altersrente arbeiten, davor würde er noch seinen Resturlaub nehmen und niemals mehr die Räume der Redaktion betreten.
»Bei allem gebotenen Respekt, lieber Helmut, aber du bist nach meiner Meinung einer derjenigen, die unter Verstopfung leiden dürften, weil ihnen ein Kopf den geregelten Stuhlgang unmöglich macht. Und das, was du uns hier so friedlich als Umstrukturierungen verkaufen willst, ist nichts weiter als die letzte Phase eines kompletten Richtungswechsels, für den ich glücklicherweise nicht mehr stehen muss und für dessen Entwicklung ich mich in den letzten Jahren mehr als ein Mal geschämt habe.«
»Wenn dir die Ausrichtung der Blattmeinung nicht gefallen hat, hättest du doch gehen können«, zischte Stoffhausen. »Dein Abgang wäre von vielen der hier Anwesenden mit tosendem Beifall begleitet worden.«
»Das hätte ich sicher, aber nach meiner Meinung hätte dir das zu gut gefallen. Und das wollte ich um jeden Preis vermeiden.«
Rumms, das saß. Stoffhausen, der sich dem überlegt und weltläufig auftretenden Grieneisen schon immer intellektuell unterlegen gefühlt hatte, beließ es dabei.
»Also«, formulierte er stattdessen salbungsvoll, »stelle ich fest, dass die Mehrzahl der Redakteure mit eindeutigem Wohlwollen auf die vor uns liegenden, gravierenden Veränderungen reagiert.«
In dem Raum, in dem etwa 60 Personen saßen, erhob sich leises Gemurmel.
»Und ich stelle weiterhin fest, dass es eine Minderheit gibt, die eher kritisch diesen Veränderungen gegenüber eingestellt ist.«
Sein Blick ging in die Runde.
»Dann hoffe ich, dass alle zufrieden sind und wir die wenigen, die noch nicht restlos überzeugt sind, in Kürze ins Boot holen werden.«
Damit schloss er die Sitzung und entließ seine Mitarbeiter in den längst überfälligen Feierabend. Einzig Werner Peters bedeutete er mit einem gezielten Blick und einer kleinen Geste, dass er noch etwas unter vier Augen mit ihm zu besprechen hatte.
»Es ist wirklich gut, dass Grieneisen bald in Rente geht«, eröffnete der Chefredakteur die Unterredung, nachdem er für beide Kaffee auf dem Tisch seines Büros serviert hatte.
»Das können Sie glauben, Chef. Der Mann nervt über alle Maßen. Ich bin in den letzten Jahren dutzende Male mit ihm zusammengerasselt, weil er mir vorgeworfen hat, dass ich mich nicht an die Grundsätze des guten Journalismus halten würde. Wie lächerlich ist das denn?«
»Ach, Sie wissen doch, dass er ein Dinosaurier ist. Er bildet sich noch heute was darauf ein, dass er mal Willy Brandt interviewt hat, ohne ihn wegen seiner Saufereien und Rumhurereien in die Pfanne gehauen zu haben. Nun ist er bald weg, und das ist gut so.«
Er nippte an seinem Kaffee.
»Und das ist einer der Gründe, weswegen ich Sie sprechen wollte, Peters. Sie sind mir immer ein loyaler und verlässlicher Mitarbeiter gewesen und Sie wissen, dass ich Sie dafür schätze. Am liebsten würde ich Sie zu Grieneisens Nachfolger machen, aber das bekomme ich beim Verleger nicht durch, das muss auch Ihnen klar sein. Zu wenig Erfahrung im Ressort Politik, zu wenig vernetzt in der Parteienlandschaft. Außerdem hat der Big Boss es Ihnen nicht verziehen, dass Sie damals in dem Artikel über die nordhessischen Gewerkschaftsfunktionäre geschrieben haben, es gäbe gute Gründe, auch im 21. Jahrhundert noch an der betrieblichen Mitbestimmung festzuhalten. Und das, obwohl Sie wussten, dass er erklärter Gegner dieses, wie er es nennt, ›klassenkämpferischen Geschwürs aus längst überholter Zeit‹ ist.«
»Aber Sie erinnern sich doch daran, Chef, dass der Artikel mit Ihnen abgestimmt war. Ich konnte also gar nichts dafür, dass Herr …«
»Nun lassen Sie die ollen Kamellen mal ruhen, Peters. Das ist Schnee von gestern, und heute will ich Ihnen einen Vorschlag machen, der ganz sicher nach Ihrem Geschmack ist, davon bin ich überzeugt.«
Über Werner Peters Gesicht huschte ein Lächeln.
»Da
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