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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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(jetzt wird er bald vierzig!) und Gittertüll der letzte Schrei. Die Nierentisch-Ära mit den dreiarmigen Tütenlampen hatte sich allmählich dem Ende zugeneigt, dafür waren die verschiedenfarbigen Polstermöbel aufgekommen (Sitzfläche violett, alles andere hellgrau, oder – die zweite Möglichkeit – Sofa und jeder Sessel in einer anderen Farbe), und als Kontrast einfarbige bodenlange Tüllgardinen.
    Immer noch hustend stand ich davor. »Auf welche Weise haben die denn alle Umzüge mitgemacht? Hatte ich sie nicht überhaupt Dorle Obermüller geschenkt?«
    »Hattest du«, bestätigte mein Müllmann, »aber die hat sie mir wieder zurückgegeben. Du wärst wohl mal wieder zu großzügig gewesen, hat sie gesagt, denn man könne sie für jedes Fenster passend machen lassen, weil sie nämlich reichen würden. In Stuttgart gäbe es bestimmt auch Näherinnen.«
    Davon hatte ich nichts gewusst. »Es wäre hilfreich gewesen, wenn du wenigstens nach dem Umzug damit herausgerückt wärst.«
    »Da hattest du schon neue gekauft.«
    Unnütz zu erwähnen, dass wir nach den Jahren in Stuttgart noch eine Zeit lang sehr ländlich nahe der Schwäbischen Alb gewohnt haben, bevor wir an den Rand des Schwarzwalds gezogen waren, und von dort, hauptsächlich der Kinder wegen, denn die hatten sich inzwischen verfünffacht, in jenes 111-Seelen-Dorf, in dem ich allmählich suizidgefährdet wurde. Weinberge sind nun mal für Stadtkinder nur ein paar Herbstwochen lang interessant. Doch ganz egal wo, nie hatten die alten Gardinen von vorher an die neuen Fenster gepasst. »Ich weigere mich, an diese uralten Lappen einen einzigen Becher Waschpulver zu verschwenden«, fauchte ich los, »nur, damit sie in der nächsten Kiste weitere dreißig Jahre vor sich hingammeln. Was soll ich denn damit? Die Motten füttern?«
    »Da gehen keine rein, das ist Kunstfaser.«
    »Eben! Ich hasse dieses knisternde Zeug, bei dem sich mir die Haare hochstellen. Außerdem hängt sich kein Mensch mehr Gittertüll vors Fenster, der ist outer als out!«
    Rolf gab sich noch immer nicht geschlagen. »Du brauchst bloß zu warten, bis die gegenwärtige Raffgardinen-Phase vorbei ist. Danach holen die Designer wieder was neues Altes hervor. Und das kostet dann richtig Geld.«
    So ganz Unrecht hatte er ja nicht. Von den in der Mitte zusammengerafften Gardinen, gegenwärtig an jedem zweiten Fenster zu sehen, müsste die Gesamtproduktion allmählich an die Frau gebracht worden und folglich wieder was Neues fällig sein. Diese hochgezuppelten Schals habe ich sowieso nie ausstehen können; sie erinnerten mich immer ein bisschen an Omis Wolkenstores, damals ihr ganzer Stolz und mein Horror, weil ich die Dinger stundenlang hochhalten musste, wenn sie nach dem Waschen gebügelt wurden.
    »Mach doch damit, was du willst, nimm sie meinethalben als Bettüberwurf oder als Fliegenfenster, aber waschen werde ich sie nicht!« Ich knallte die Tür hinter mir zu, machte sie aber gleich noch einmal auf: »Nur, damit du Bescheid weißt: Ich fahre für ein paar Tage nach Heidelberg. Vielleicht hast du bis zu meiner Rückkehr dein Müllsyndrom überwunden!
    »Reisende soll man nicht halten«, antwortete Rolf und riss auch noch das zweite Dachfenster auf. Die Luft war ziemlich dick geworden, und das nicht nur vom Staub. »Hier oben bin ich in zwei bis drei Stunden fertig, dann wollte ich eigentlich bei mir weitermachen, aber wenn du nicht da bist, nehme ich mir besser erst die Kellerräume vor.«
    Auch gut, sollte er ruhig Grund reinbringen, und wenn alles durchsortiert war, würde ich runtergehen und den Rest erledigen. Danach würden wir hoffentlich wieder zwei übersichtliche Keller haben mit so vielen leeren Regalen, wie wir sie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr gehabt hatten. Und als Folge davon würden hoffentlich auch die schwarzen Spinnen emigrieren.
    Oder sollte ich nicht doch lieber hier bleiben und mich an dieser Entrümpelung beteiligen, die letztendlich auch mir zugute käme, statt mich feige aus dem Staub zu machen? Was, wenn Rolf nachher versehentlich auf die Gardinen tritt, stolpert und mitsamt dem Polyesterberg die Treppe runterfliegt? Falls überhaupt, dann kommt Sven erst abends, und bis dahin …
    Nein, nicht wieder weich werden! Ich packte schnell ein paar Sachen in den Koffer, setzte mich in meinen Wagen und fuhr los. Während der ganzen sechs Kilometer bis zur Autobahn grübelte ich darüber nach, ob Rolf wohl den Rest vom Brokkoli-Gratin finden würde. Der war

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