Menschenskinder
gestern vom Mittagessen übrig geblieben, nur hatte ich ihn im Kühlschrank ziemlich weit nach hinten geschoben.
Steffi und Hannes nennen sie »Die Firma«, bei mir heißt sie nur »Euer Laden«, die offizielle Bezeichnung lautet jedoch »Großhandel für Floristik und Dekorationsbedarf«. Die Hälfte davon steht in grünen Buchstaben außen an der Mauer, in voller Länge nur auf den Briefbogen.
Die Halle ist fünfzig Meter lang und fünfundzwanzig Meter breit, was sich relativ wenig anhört, aber relativ viel ist, wenn man von ganz vorne nach ganz hinten laufen muss, um der Kundin zwei Bündel roten Bast zu holen; den hatte sie nämlich gesucht und nicht gefunden. Beim Halle-Kehren, freitags ab 17 Uhr, merkt man auch, dass tausend Quadratmeter eine beachtliche Fläche abgeben und Besen ziemlich klein sind.
Als ich vor Jahren – noch in Unkenntnis der Tatsache, dass der spätere Inhaber dieser Firma mein Schwiegersohn werden würde – zum ersten Mal die Halle betreten hatte, hatte sie noch anders ausgesehen, nämlich verkramt, vollgestellt und unübersichtlich. Damals hatte noch Trudchen das Zepter geschwungen, Chefin seit Jahrzehnten und die Firma nach der Devise führend: »Das haben wir schon immer so gemacht! Das haben wir noch nie so gemacht!« und »Da könnte ja jeder kommen …!«
›Jeder‹ war in diesem Fall Sohn Hannes, der gern einiges geändert hätte, aber nicht durfte (siehe oben). Doch dann kam Trudchens Sturz in der Badewanne mit Rippenbrüchen und längerer Rekonvaleszenz, und erst während dieser Zwangspause merkte sie, wie schön eigentlich der Ruhestand sein könnte. Hinzu kam, dass Hannes mit sechsunddreißig Jahren endlich die Frau fürs Leben gefunden zu haben glaubte, und nachdem seine Mutter festgestellt hatte, dass Steffi sich sehr schnell in die ganze Materie hineinfinden würde, zog sie sich beruhigt aufs Altenteil zurück. Sie heiratete ihren langjährigen Lebensgefährten Karl, verkaufte ihre Wohnung und siedelte sich an Spaniens Küste an. Seitdem kommen die beiden nur im Hochsommer nach Deutschland, wenn die Deutschen nach Spanien reisen und es dort unten sowieso zu heiß wird.
Die Halle wurde umgebaut. Die antiquierten Regale flogen raus, neue kamen rein und wurden anders platziert, was die ganze Sache übersichtlicher macht. Der Kaffeeautomat, gleich neben dem Eingang schon immer ein Hindernis gewesen, wurde umquartiert und bekam einen kleinen Bruder, der Soft Drinks in Dosen anbietet. Seit dem letzten ›Tag der offenen Tür‹ steht in dieser Ecke sogar ein offenbar vergessener Bistro-Tisch; allerdings sind die Tabletts mit AppetitHäppchen gegen ein Fläschchen Kaffeesahne und zwei Aschenbecher ausgewechselt worden. Zur Freude vieler Kunden und nicht zuletzt der Mitarbeiter darf im Kassenbereich geraucht werden. Wer aber weiter entfernt als fünf Meter mit einer Zigarette angetroffen wird, muss fünf Mark in das Urlaubsschwein werfen. Es nimmt jedoch kaum an Gewicht zu.
Lissys Reich, in dem die Sträuße, Türkränze, Girlanden und anderes Blumige entstehen, wurde aus dem früheren Versteck hinten links herausgeholt und in der Nähe des Eingangs aufgebaut, denn »man will doch auch am Leben teilnehmen!« hatte sie gefordert. Inzwischen hat sie gemerkt, dass sie viel zu viel daran teilnehmen muss, weil die Kunden sie immer gleich sehen und mit Fragen überfallen. »Sie hatten da neulich, es kann aber auch schon länger her sein, eine Schale dekoriert mit so weißen und lila Blumen drin, ich weiß nicht, wie die heißen, aber können Sie die für mich nachmachen?«
Berücksichtigt man, dass ungefähr zwei Dutzend verschiedene Schalen in den Regalen stehen und es außer Schneeglöckchen und Lilien noch andere weiße Blumen gibt, dann kann man Lissys heimliches Zähneknirschen angesichts solcher Forderungen nachempfinden.
Es gibt einen Deko-Raum mitten in der Halle, in dem ihre Kreationen ausgestellt und oft gleich wieder weggekauft werden. Dann muss sie neue machen und kommt nicht dazu, die Bestellung für fünfmal Tischdekoration in Altrosa und Silber fertig zu stellen. Die Jubelbraut wird nämlich ein Dirndl aus altrosa Taft tragen … Und bloß die Schleife nicht vergessen, muss Ludwig aber noch drucken, zusammen mit der Girlande soll sie die beiden Ehrenplätze bekränzen:
Fünfundzwanzig Jahre sind es wert, dass man euch besonders ehrt. Deshalb wollen wir euch sagen, wir sind froh, dass wir euch haben.
Eure Kinder
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass alles,
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