Menschenskinder
entsorgen.«
Die Reklamezettel hat er natürlich vergessen, und die Alben sind auch nicht beim Altpapier gelandet, sondern auf dem Flohmarkt. Und nicht nur die. Mein Sohn, der in den letzten zwanzig Jahren noch immer keine Zeit gehabt hatte, seine alten Musikkassetten, Schulhefte, Fahrradwimpel und sonstige Trophäen abzuholen, stürzte sich in jeder freien Minute zusammen mit seinem Vater in die Entrümpelungsaktion, in der Hoffnung, doch mal eine »richtige Antiquität« zu finden und »nicht immer bloß diesen Sperrmüllkram.« Anfangs hatte ich das ganze Unternehmen begrüßt. Früher hatten wir dank unserer vielen Umzüge gar keine Zeit gehabt, überflüssigen Kram anzusammeln, der war immer schon vor Eintreffen des Möbelwagens entsorgt worden, aber nun waren wir seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr umgezogen. Wenn man dazu berücksichtigt, dass sowohl Rolf als auch ich im Krieg und mehr noch in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind, als man noch jeden verbogenen Nagel geradegeklopft und jedes Stückchen Stoff aufgehoben hat, ist es kein Wunder, dass auch bei mir noch Bettbezüge im Schrank liegen, die ich von meiner Großmutter geerbt habe. Weißer Damast, kaum benutzt, würde ich trotzdem nie aufziehen; viel zu wuchtig und schwer zu bügeln, aber einfach so in den Altkleidersack stecken? Viel zu schade!
Katjas Begründung, wenn sie mir mal wieder einen Wäschekorb voll ›Ausrangiertem‹ vor die Füße stellt zur gefälligen Weitergabe an die Kleiderstube, ist nachvollziehbar. »Was ich im vergangenen Jahr und im Jahr davor nicht angezogen habe, trage ich in diesem auch nicht mehr, also wozu den Schrank damit vollstopfen?« Sie hat ja Recht, und trotzdem hängen in meinem immer noch Blusen, die ich mir gekauft habe, als Helmut Kohl zum zweiten Mal Bundeskanzler geworden war.
Den alten Dampfkochtopf wäre ich allerdings gern losgeworden, ich hatte längst einen neuen, nur wollte Rolf ihn nicht hergeben. »Der alte hier ist viel stabiler, der funktioniert auch noch dann, wenn der andere längst seinen Geist aufgegeben hat. So was wirft man nicht weg!« Also kam er in das Mansardenkämmerchen zu der Lampe mit dem handgemalten Porzellanfuß (hatte mal seiner Mutter gehört), zu den alten Sofakissenbezügen, an denen Rolf später mal sein Talent zur Seidenmalerei ausprobieren will, zu der Lichterkette mit dem Wackelkontakt (»Ist nur eine Kleinigkeit, kann man selber reparieren!«, er hat in den letzten vier Jahren bloß noch keine Zeit dazu gehabt …), zu der Saftpresse mit dem kaputten Griff und zu den zweihundert anderen Dingen, die kein Mensch mehr braucht, die aber immer noch zu schade zum Wegwerfen sind. Oder waren, denn jetzt hatte sich ja Rolf der Sache angenommen, und seitdem muss ich alte Decken waschen, die man noch gut gebrauchen kann, wenn wir mal wieder ein Picknick machen (so weit ich mich erinnere, gab es das letzte, als wir gemeinsam ins Fünfmühlental gewandert sind; damals gingen die Zwillinge noch in die Grundschule), oder später mal für die Enkelkinder, wenn sie im Garten spielen. Aber bis dahin werden sie hoffentlich die Motten gefressen haben. Die Decken natürlich. Und die Obergardinen gleich dazu, bleu mit hellbraunem Überkaro, war mal ganz modern gewesen und hatte zu der Couchgarnitur gepasst, die längst nicht mehr existiert, aber zum Wegwerfen sind sie einfach noch zu gut erhalten. Meint Rolf. Würden sich doch im Gästezimmer ganz gut machen, man müsste sie nur erst waschen und dann etwas kürzen lassen, aber das käme bestimmt billiger als neue. Dabei will ich gar keine neuen haben!
So ging das nun seit Tagen, und ich hatte langsam die Nase voll davon, alte Textilien zu waschen, nur damit sie doch wieder in Umzugskartons verschwinden und bis zu meinem Ableben darin verstauben würden. Also stieg ich hinauf in die Mansarde.
»Schön, dass du kommst«, begrüßte mich mein Ehemann, »dann kannst du das da gleich mit runternehmen und mal durchwaschen.« Er deutete auf den Berg Undefinierbares, das sich in einer Ecke häufte und vom Volumen her mindestens drei Maschinenfüllungen ergeben würde.
»Was ist das überhaupt, oder – besser – was ist das mal gewesen?« Ich hob einen Zipfel von dem Stoffberg an, fing an zu husten, zog noch ein bisschen mehr heraus und – wusste Bescheid.
Es waren tatsächlich die Tüllgardinen, echt Polyester, die wir seinerzeit für das große Wohnzimmerfenster in Monlingen gekauft hatten. Damals war Sascha gerade vier Jahre alt gewesen
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