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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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120 Zentimeter! Ich hab ihm gesagt, er soll mal beim Schlachthof anrufen, die haben noch am ehesten Gefäße dieser Größenordnung.« Liebevoll umarmte sie mich. »Schön, dass du gekommen bist, wir stehen wirklich auf dem Schlauch. Lissy und ich packen schon seit heute Morgen aus, Ludwig räumt weg, und Hannes hält hier drin die Stellung. Zähneknirschend! Du weißt doch, unsere manchmal etwas unentschlossenen Damen von der Geschenkartikel- und Bastelbedarfsfront brauchen gelegentlich Unterstützung, und dazu fühlt er sich einfach nicht berufen.«
    »Verständlich. Warum machst du das nicht, und er packt aus?«
    »Dazu hat er doch keine Zeit. Er muss nämlich strategische Pläne entwickeln, wo er demnächst seine 35 Tonnen Kerzen unterbringen wird. Die sind zwar noch nicht da, aber wenn sie geliefert werden, muss der dafür vorgesehene Platz freigeräumt sein. – Komm mit nach draußen, wir haben dir auch was besonders Schönes rausgesucht.«
    Mir schwante Fürchterliches. »Vorher kriege ich aber noch einen Kaffee und eine Zigarette.«
    »Dazu lade ich dich ausnahmsweise ein!«, klang es hinter mir, und schon fiel eine Münze in den Automat. »Ist dir nicht bekannt, dass die Arbeitszeit in dieser Firma um sieben Uhr morgens beginnt? Wer zu spät kommt, muss abends länger bleiben!« Hannes reichte mir den gefüllten Plastikbecher. »Ich finde es trotzdem großartig, dass du uns hilfst.«
    »Mache ich ja nicht zum ersten Mal.« Ich nahm einen Schluck und – hätte ihn am liebsten wieder ausgespuckt. »Pfui Deibel, ist der bitter! Habt ihr eine neue Sorte?«
    »Wolltest du Kaffee haben oder eine Nierenspülung?«
    Ich gab ihm den vollen Becher zurück. »Es ist wenig effektiv, mich vor der Arbeit vergiften zu wollen. Komm, Steffi!«
    Neben zwei Tischen von jener Sorte, mit denen Biergärten bestückt werden, standen zwölf mittelgroße Kartons und daneben zwei Waschkörbe. »Ich hab gedacht, du nimmst dir die Sterne vor, dabei kannst du wenigstens sitzen«, sagte Steffi und deutete auf den Klappstuhl, »bei den Engeln geht das nicht, die sind zu groß.«
    Da musste ich ihr allerdings Recht geben. Etwa einen halben Meter hoch waren diese herzigen Nackedeis aus Terrakotta, hatten goldene Haare, goldene Flügel und ein Instrument im Arm, Harfe, Leier oder die Abart einer Posaune, jedenfalls etwas Himmlisches. Außerdem waren sie geschlechtslos, aber das sind Engel ja meistens, und deshalb verstehe ich auch nicht, warum es überall der Engel heißt und nicht das Engel. Im Laufe von zweitausend Jahren hätte man diesen Fehler wirklich mal korrigieren können.
    »Hallo, Lissy. Du hast schon fast den gleichen verklärten Blick wie deine Goldköpfchen.« Ich nahm einen davon in die Hand. »Hoppla, der ist ja richtig schwer!« Vorsichtig stellte ich ihn zurück. »Wissen möchte ich bloß, wer so etwas kauft.«
    »Bestimmt niemand fürs Wohnzimmer«, gab sie lachend zurück. »Die sind in erster Linie für Schaufenster gedacht.«
    »Ach so, du meinst, so ein geflügelter Nackedei mitten zwischen Parfümflaschen und Lippenstiften steigert den vorweihnachtlichen Umsatz?«
    »Meine Güte, Määm, hast du denn die zwei Grundregeln für unsere Branche noch immer nicht begriffen? Regel Nr. 1: Vergiss deinen eigenen Geschmack!«
    »Stimmt, das hast du schon mal gesagt, aber die zweite Regel weiß ich nicht mehr.«
    »Ganz einfach: Denke immer an Regel Nr. 1! – So, und nun fang endlich an, du musst genau … äh, warte mal …« , sie zögerte einen Moment und schloss die Augen, um mir dann freudestrahlend mitzuteilen: »… 1728 Goldsterne auf Stiel auspacken!«
    »Woher weißt du das?«
    »Es sind zwölf Kartons gekommen. Laut Lieferschein befinden sich in jedem großen Karton sechs kleinere, und in jedem kleinen sollten 24 Sterne liegen.«
    »Sollten!«, sagte ich erbittert. »Aber nachzählen muss ich trotzdem nicht, nein?«
    Man stelle sich einen etwa sieben Zentimeter großen, goldbronzierten Stern vor, aber nicht so ein flaches Laubsägeprodukt mit nur zwei Seiten, sondern einen dreidimensionalen, bei dem die Zacken in alle Himmelsrichtungen ragen. In diesem Stern steckt ein dünner Holzstab. So weit alles klar?
    Des Weiteren stelle man sich einen soliden, mit Folie umwickelten und mit breitem Klebeband zugekleisterten Pappkarton vor, in den – wenn man ihn unter Zuhilfenahme eines simplen Küchenmessers und unter Verlust mindestens eines Fingernagels aufgeschlitzt hat – sechs kleinere Kartons so eng reingestopft

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