Menschenskinder
was es an Blumen, Grünpflanzen, Ranken, Bäumen und sonstiger Botanik in der Halle gibt, unecht ist? Auf den ersten Blick fällt einem das gar nicht auf, beim zweiten schon, denn erstens duften künstliche Blüten nicht, und zweitens gibt es in natura keine fünfzig Blumen einer Gattung, die zusammen in einem Kübel stehen und sich aufs Haar gleichen. Wird’s aber doch bald geben, bei Klon-Schaf Dolly hören die Forscher doch nicht auf …
Rechts vom Eingang, nur über acht Stufen zu erreichen, befindet sich das Aquarium. Offiziell heißt es natürlich Büro, aber dank seiner großen Glasscheiben, hinter denen man fast die ganze Halle im Blick hat, und des riesengroßen Ficus (Ein echter! Jeden Freitag wird er gegossen, aber wenn Lissy Urlaub hat, leidet er sichtbar – an Wassermangel) ist diesem Raum – von unten gesehen – eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Aquarium nicht abzusprechen. Abgesehen von den drei Schreibtischen natürlich, den Computern, Druckern, Telefonen, Fax- und sonstigen elektronischen Geräten, den Schränken, Regalen, Kaffeetassen, Nilpferden, Butterbroten, Regenjacken, Hundekräckern, Einkaufskörben und ähnlichen Dingen, die jedem Büro erst die persönliche Note verleihen.
Auf gleicher Höhe mit dem Aquarium, jedoch etwas zurückgelegen, befindet sich die Druckerei. Allerdings keine, bei der man Werbezettel bestellen kann oder Festschriften, sondern nur eine kleine zum Bedrucken von Kranzschleifen, vorwiegend für Beerdigungen. Gelegentlich kommt es vor, dass zum Beispiel der Schrebergartenverein eine besonders lange bestellt, wenn die Miss Tausendschön gewählt wird, oder der Reit- und Fahrclub Schärpen für die Siegerehrung braucht, doch normalerweise sind es diese weißen Taftschleifen mit Golddruck und Fransen an den Enden.
Drucken können inzwischen alle Mitarbeiter, doch Herrscher über sein knapp 4 qm großes Reich ist Ludwig, auch schon allmählich im Rentenalter, jedoch nicht gewillt, seinen grauen Kittel an den Nagel zu hängen und Brieftauben zu züchten. Oder Kaninchen. »Den janzen Tach zu Hause hocken? Denn kann ick jleich ’ne Kranzschleife für mich selba machen.« Wenn Ludwig morgens die Zeitung von hinten nach vorne liest, weil er immer bei den Todesanzeigen beginnt, dann hört man ihn beim Anblick besonders vieler schwarzen Ränder gelegentlich murmeln: »Is ja mal wieda mächtig viel Leben unter den Toten.«
Zu erwähnen wäre noch Außendienstler Lucky, zwei Drittel des Tages mit dem Lkw unterwegs, bei Kunden und Polizisten gleichermaßen beliebt. Letztere mögen ihn, weil er manchmal hilft, ihr monatliches Soll an Strafzetteln zu erreichen.
Gleich hinter der Halle und parallel dazu gibt es noch das Außenlager, einen acht Meter breiten Hof, teilweise überdacht und mit Regalen bestückt. Dort findet man alles, was von Floristen immer gebraucht wird und keinen modischen Trends unterworfen ist. Gartenerde zum Beispiel, Blumentöpfe von 6 cm an aufwärts bis zu Bierfassgröße, Tonschalen, Untersetzer, Terrakotta-Kübel, außerdem zwei Mülltonnen, Rollcontainer für das Verpackungsmaterial, einen Schneeschieber, den Gabelstapler, gleich neben der Tür eine mit Goldspray behandelte Tulpe und den Adventkranz vom letzten Jahr, genauer gesagt, das Gerippe davon. Vielleicht hat ja Lissy noch was mit ihm vor, das kann man bei ihr nie so genau wissen.
Hier draußen also würde für die nächsten Tage mein Arbeitsplatz sein, vorausgesetzt, das Wetter spielte mit.
Ich hatte gerade den Wagen geparkt und war ausgestiegen, als Steffi von innen die Tür aufschloss -13 Uhr, Ende der Mittagspause. Ein Herr wartete schon. Er stürzte in die Halle und sah sich flüchtig um. »Haben Sie irgendwelche Büsten?«
Steffis verdutztes Gesicht hätte man fotografieren müssen! »Was für Büsten?«
»Na, so was, was man wo draufstellen kann.«
Ratloser Blick zu mir, Achselzucken. »Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.«
»Köpfe von berühmten Leuten aus Gips oder so. Ich habe mal einen von Goethe gesehen, aber den will ich nicht, mehr was aus’m Altertum.«
»Tut mir Leid, aber das führen wir nicht.« Nur mühsam konnte Steffi das Lachen unterdrücken. »Versuchen Sie es doch mal in einer Musikalienhandlung, die werden zumindest Beethoven und Wagner vorrätig haben.«
Kaum war er weg, prusteten wir los. »Kommt das öfter vor?«
»Gelegentlich, aber die meisten beschränken sich aufs Telefon. Neulich wollte jemand eine Paella-Pfanne haben. Mit einem Durchmesser von
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