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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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worden sind, dass man sie kaum herausbringt. Meistens kostet das einen weiteren Fingernagel. In jedem kleinen Karton liegen vierundzwanzig Sterne, jeweils sechs unten am Stiel mit Tesafilm zusammengeklebt und oben einzeln mit Seidenpapier umwickelt. Die Arbeitslöhne in China müssen tatsächlich miserabel sein!
    Nun weiß ich zwar nicht, wie lange man braucht, um einen Stern einzuwickeln, das Auswickeln geht ziemlich langsam, weil man sich sonst an den verflixt spitzen Ecken piekt. Dann braucht man ein Pflaster, und hat man erst mal an jedem zweiten Finger eins kleben, dauert die ganze Sache noch länger. Anderthalb Waschkörbe mit schätzungsweise 1432 Sternen hatte ich geschafft, dann bekam ich Halluzinationen. Außer am nächtlichen Himmel und bei einem allzu intensiven Kontakt mit Straßenlaternen, Hausmauern oder ähnlichen Hindernissen sieht der Durchschnittsmensch selten Sterne, doch ich sah jetzt schon welche, wo gar keine waren.
    »Seit wann tragen Gartenzwerge Sterne mit sich herum?« Die Engel waren längst ausgepackt, von Holzwolle und Styroporschnipseln befreit und bis zur Wiederauferstehung ins Lager verbannt worden. Jetzt waren die Gartenzwerge dran, merkwürdigerweise welche mit Stern am Stiel in der Hand.
    Steffi stellte mir einen vor die Nase. »Das ist ein Weihnachtsmann, und das da oben ist seine Laterne! Du solltest wirklich mal eine neue Brille …«
    Schließlich erbarmte sich Lissy. »Komm, ich löse dich ab. Mach mal bei den Stiefeln weiter!«
    Also packte ich Nikolausstiefel aus. Erst große aus Pappe, dann kleinere aus Plastik und schließlich ganz kleine aus Keramik, bei denen ich mir überlegte, was um alles in der Welt man damit anfangen könnte. Es würden bestenfalls zwei Bonbons reinpassen. »Was macht man …«
    »… dreh sie mal um, dann weißt du es.«
    Aha, sie hatten Streifen unter den Sohlen, also würde man sie irgendwo festkleben können, auf Geschenkpäckchen vermutlich oder auf einen Arm von der Stehlampe; in der Adventzeit sind dem Hang nach weihnachtlichem Zimmerschmuck bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Ich musste endlich anfangen, die ganze Sache nicht von der praktischen Seite zu sehen, sondern mit den Augen von Floristen, Gärtnern, Dekorateuren und all der anderen Kunden, die sich in wenigen Wochen hoffentlich in Scharen auf das stürzen würden, was wir gerade auswickelten. Aber trotzdem: Weshalb sollte jemand einen Nikolausstiefel auf ein Geschenk kleben, wenn das, was eventuell reinpassen würde, bei der kleinsten Erschütterung wieder rausfiele?
    Ich hatte gerade einen neuen Karton aufgeschlitzt und war gespannt, was zum Vorschein kommen würde (Weihnachtsmänner, was sonst? Diesmal als Spardosen getarnt), als Steffi ihr Küchenmesser in den Holztisch rammte: »Feierabend!« Sie stellte die letzten zwanzig Schneemänner auf den Rollwagen. Auch deren Verwendungszweck war mir noch unklar. Sie waren fast einen Meter groß, trugen Zylinderhüte, Schals um den Hals und hielten den rechten Arm ausgestreckt vor sich.
    »Winterlicher Blickfang der Nichtsesshaften?«, rätselte ich halblaut. »Im Dezember steigt die Spendenbereitschaft sprunghaft an, und so ein Schneemann wäre doch mal …«
    Nein, ich hatte schon wieder zu wenig kommerziell gedacht. Der Schneemann sollte nicht in Vertretung für andere betteln, sondern vor oder in vielen Geschäften stehen und den Kunden alles das wünschen, was gerade opportun sein würde. In die ausgestreckte Hand gehörte nämlich eine Art Besenstiel und daran eine Tafel. Die Schriftzüge »Ein frohes Weihnachtsfest« und »Ein glückliches Neues Jahr« wurden als Magnetzeilen zum Auswechseln mitgeliefert, weitere Mitteilungen wie etwa »Heute frische Kalbsknochen« oder »Wegen Familienfeier ab zwölf Uhr geschlossen« würde der Ladenbesitzer allerdings selbst gestalten müssen. Zwei Stück Kreide in Weiß und Hellviolett gehörten ebenfalls zum Zubehör.
    »Bei pfleglicher Behandlung hält der Schneemann mindestens fünf Wintersaisons durch. Also wird er sich für den Käufer amortisieren«, sagte Steffi, »und für uns hoffentlich auch«, fügte sie halblaut hinzu, »wir haben nämlich fünfzig Stück davon geordert.«
    »Was kostet er denn?«
    »Weiß ich nicht, muss Hannes erst kalkulieren.« Sie karrte ihre weiße Fracht Richtung Tür. »Ist mir im Augenblick auch ziemlich egal. Hast du eigentlich keinen Hunger?«
    Natürlich hatte ich welchen, mein Gratin hatte vermutlich Rolf gegessen, und außer einem vor zwei Tagen

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