Menschenskinder
essen, hieß es, was im Klartext bedeutete, dass sie unsere Reste bekämen. Zum Glück war mehr als genug da, es würde von allem etwas übrig bleiben, sogar von der Eistorte, die allerdings nicht mehr so prachtvoll aussah, nachdem sie, wenn auch kurz, in der Sonne gestanden hatte.
»Nur ein Viertelstündchen«, hatte auf dem Wandbehang gestanden, handgestickt natürlich, der bei meiner Urgroßmutter hinter dem kleinen Küchensofa prangte, und so weit ich mich erinnere, hatten ihr diese kurzen Nickerchen auch immer gereicht, aber sie hatte natürlich nie bei ungefähr 34 Grad im Schatten ein Vier-Gänge-Menü verdauen müssen. Wir brauchten mehr als eine Stunde, bevor unsere Lebensgeister wieder erwachten; allerdings waren meine dann so munter, dass sie gegen ein nochmaliges Zurückgelassenwerden protestierten. Lieber auf dem ankernden Boot herumschaukeln und notfalls die Fische füttern (ich hatte sowieso zu viel gegessen!), als noch mal zwei Stunden auf diesem gottverlassenen Eiland hocken. Dabei wurde es gar nicht so schlimm. Das Meer glitzerte immer noch ganz ruhig in der allmählich tiefer stehenden Sonne, das Boot schwankte kaum, und wenn ich trotzdem das Gefühl bekam, mein Magen würde nicht mehr lange mitmachen, sprang ich ins Wasser, schwamm zweimal um den Kahn und kletterte zurück an Bord. Das reichte wieder für die nächsten zwanzig Minuten.
Hannes tauchte als Erster auf, gleich danach Juan, doch kaum hatten sie sich hochgehievt, kam auch Steffis Kopf zum Vorschein. Noch im Wasser befreite sie sich von Flasche, Jackett und Bleigurt, reichte beides den Boys, kletterte ins Boot, und während sie sich in Windeseile aus dem Anzug schälte, schrie sie: »Lasst bloß die Leiter noch draußen!« Dann hechtete sie zurück ins Meer und stieg wenig später sichtlich erleichtert die Sprossen wieder empor. »Das war knapp!«
Bei den zwei Männern ging die Sache problemloser ab. Nebeneinander stellten sie sich am Heck auf, und nach dem Kommando »Alle Augen backbord!« hörte man es leise, doch ausgiebig plätschern.
Nie hätte ich gedacht, dass es von einem schon halb im Sand versunkenen, von Algen, Muscheln und Tang überwucherten fünfzig Jahre alten Wrack so viel zu erzählen gibt. Da hatte man doch tatsächlich ganz genau das Loch erkennen können (pardon, auf seemännisch heißt das ja wohl Leck), das der Torpedo in die Bordwand gerissen hatte, durch den Wellentunnel (?) war man ins Innere geschwommen, hatte mit dem Messer ein bisschen an der Spierentonne (??) herumgekratzt und an Deck sogar noch Reste der Barbette (???) gefunden. Ich verstand nur Bahnhof, täuschte jedoch fundierte Kenntnisse vor, um den sonst fälligen Erklärungen vorzubeugen, bis Steffi der Sache ein Ende machte. »Ist doch sch … egal, ob ich nun an einem Schott oder an einer Tür hängen geblieben bin, meine Handschuhe sind jedenfalls hinüber! Wo kriege ich jetzt neue her?«
Vielleicht würde sie ja gar keine mehr brauchen! Anfangs hatte ich überhaupt nicht auf dieses Boot geachtet, das plötzlich von irgendwoher aufgetaucht und eine Zeit lang parallel zu uns gefahren war, doch nun allmählich näher kam. Aufmerksam wurde ich erst, als Juan sein Fernglas auf das Boot richtete und durch ein kaum sichtbares Nicken seinen Leuten zu verstehen gab, dass wohl irgendetwas nicht stimmte. Nur der Mann am Ruder blieb scheinbar unbeteiligt, die anderen beiden standen auf und machten sich an der in einer Ecke liegenden Segelplane zu schaffen. Ich sah etwas blitzen, wusste jedoch nicht, was es war, wunderte mich nur, dass Juan von Hannes verlangte, er möge sich doch mal eben am Bug in die Sonne setzen, während wir Frauen die Plätze wechseln und auf der gegenüberliegenden Seite Platz nehmen sollten. Da würden unsere Badeanzüge schneller trocknen. Er selber schleppte die Tauchflaschen von vorne nach hinten, weil sie dort angeblich nicht mehr hin- und herrollten, und hätte er nicht immer wieder einen aufmerksamen Blick zu dem anderen Boot geworfen, dann hätten wir vermutlich gar nichts mitgekriegt. So aber wurden wir misstrauisch, und da Steffi auf Ausfahrten immer ihr kleines Fernglas mitnimmt, wegen der Delfine, die gelegentlich vorbeischwimmen, kramte sie es heraus und setzte es an die Augen. »Die haben ja Skimützen auf mit Löchern im Gesicht!«
»Waaas?« Hannes riss ihr das Glas ans der Hand und sah selber hindurch. Dann wandte er sich ganz ruhig an Juan. »Pirates?«
Wahrscheinlich ja, meinte der, doch wir sollten uns nicht
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