Menschenskinder
ein kleines Feuerwerk, allerdings nur so lange, bis plötzlich die etwas abseits aufgehäuften, längst vertrockneten Palmwedel zu qualmen anfingen. Nach erfolgreicher Brandbekämpfung wurde in der Bar weitergefeiert, und diesmal fand sogar die Torte genügend Abnehmer. Normalerweise blieb das meiste davon übrig. Es gab nämlich fast jeden Abend eine Torte, etwas kleiner als die hier, aber genauso farbenfroh und genauso süß. Die mit »Happy Birthday« in rosa Zuckergussschrift und einer Kerze obendrauf bekam das jeweilige Geburtstagskind, die mit einem Fähnchen und der Aufschrift »A diver is born« wurde zusammen mit dem entsprechenden Zertifikat einem neuen Taucher überreicht, aber auch sonst gab es immer wieder einen Anlass, der den Koch zu neuen Kreationen inspirierte. Kam ein Gast zum dritten Mal (oder noch öfter, es gab tatsächlich ein paar »Dauergäste«) auf die Insel, dann wurde er mit einem welcome-cake begrüßt; das Unglückswesen mit dem verstauchten Fuß bekam als Trostpflaster eine Torte, die auf einer Mullbinde ruhte und von einem HansaplastFähnchen gekrönt war, und die beiden Schweizer, deren Hochzeitstag sich zum zwölften Mal jährte, erhielten natürlich einen wedding-cake mit einem Brautpaar in der Mitte. Der Verdacht liegt nahe, dass der Koch viel lieber Konditor geworden wäre, zumal seine kreativen Fähigkeiten erheblich größer waren als die kulinarischen. Seine Torten sahen immer wunderschön aus – bei der ersten hatte ich tatsächlich geglaubt, sie sei aus Plastik –, aber sie waren widerlich süß, und darüber hinaus offenbarte ihr Genuss jedes Löchlein, das der Zahnarzt bei der letzten Kontrolle noch gar nicht gefunden hatte.
Kaum war das Neujahrsfest vorbei (an diesem Tag befanden sich übrigens nur drei echte Chinesen auf der Insel), kam der Valentinstag, den man vor zwanzig Jahren hier bei uns noch gar nicht kannte und der vermutlich von den Floristen beziehungsweise den Geschenkartikel-Herstellern aus Amerika importiert wurde, weil es bis zum umsatzsteigernden Muttertag im Mai leider noch ein Vierteljahr hin ist. Die roten Bändchen blieben hängen und wurden durch viele rote Herzchen ergänzt, mittags gab es als Dessert für jeden Tisch einen kleinen runden Kuchen mit einem Herz obendrauf, und für abends war ein Picknick angesagt, und zwar nicht wie üblich am Pool, sondern auf dem »island without any trees«, also der Insel ohne Bäume, die in Sichtweite vor uns lag und wirklich nur aus Sand bestand und am hinteren Ende aus ein bisschen Geröll. Wir waren schon ein paar Mal daran vorbeigefahren. Bei Sonnenuntergang sollten wir uns alle am Strand einfinden, dann würden uns zwei Boote hinüberbringen.
Den ganzen Nachmittag über liefen die Vorbereitungen. Die Grills wurden auf die Insel geschippert, Batterien von zugedeckten Blechen, Töpfen, Kannen folgten, Geschirr schepperte, ein Klapptisch fiel ins Meer, gefolgt von dem Boy, der ihn noch festhalten wollte – keine Katastrophe bei fünfundzwanzig Grad Wassertemperatur und nur 1 Meter Tiefe –, dann kam heftig gestikulierend der Koch angelaufen, worauf zwei Töpfe wieder ausgeladen und am Strand abgestellt, vom nächsten Hilfswilligen jedoch erneut an Bord geschleppt wurden … es herrschte ein überaus geschäftiges Treiben, nur mangelte es an Koordination.
»Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll, aber alle machen mit!«, konstatierte Hannes, nachdem er eine Zeit lang zugeguckt hatte. »Camillo rennt jetzt schon zum vierten Mal mit der Suppenkelle auf den Kahn!«
»Vielleicht vergisst er bloß, sie abzulegen.« Steffi grinste. »Ich kenne nämlich jemanden, der geht schon mal in den Keller, weil er die alten Zeitungen runterbringen und Kaminholz raufholen will, und wenn er zurückkommt, hat er die Zeitungen immer noch unter dem Arm und statt der Buchenscheite Kartoffeln im Korb.«
»Das ist ein einziges Mal passiert und auch nur deshalb, weil mich der Oskar im Keller angequatscht und gefragt hat, wie lange Kartoffeln kochen müssen; der war doch gerade zwei Tage lang Strohwitwer gewesen. Da muss ich irgendwas assoziiert haben wie Kartoffelfeuer oder Kartoffeln im Feuer … was weiß denn ich? Und was hat das überhaupt mit der Suppenkelle …«
»Jetzt hat er sie nicht mehr«, meldete Steffi, die das Gewusel am Strand nunmehr durch das Fernglas verfolgte, »vielleicht hat der Koch sie ihm weggenommen.«
»Das wird’s sein«, überlegte ich, »beim Picknick hat es doch bisher noch nie Suppe
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