Menschenskinder
beunruhigen. Sobald die Männer feststellten, dass nur Taucher an Bord seien und keine Ausflügler, hätten wir nichts zu befürchten. »Diver have no money and no credit-cards.«
Das war richtig, Geld hatte ich wirklich nicht dabei, meine Kreditkarte lag im Hotelsafe, aber Steffi und Hannes trugen immerhin nicht ganz billige Tauchcomputer, und ihre Kamera stammte auch nicht vom Flohmarkt.
Das fremde Boot kam immer näher, so dass wir nun auch ohne Fernglas die mit dunklen Gesichtsmasken vermummten Gestalten erkennen konnten. »Wie im Kintopp!«, behauptete ich fröhlich, obwohl ich eine Scheißangst hatte. Steffi ging es genauso, oder weshalb sonst nahm sie ihren Computer vom Handgelenk und schob ihn unter ein zusammengerolltes Tau? Hannes steckte seinen Computer zwischen die Schwimmwesten: »Die nehmen mit, was sie brauchen oder irgendwo verscherbeln können, und dann ziehen sie wieder ab.«
Aber dann drehte das Boot plötzlich doch ab und verschwand hinter einem der unzähligen Inselchen. Allgemeines Aufatmen. So harmlos, wie Juan behauptet hatte, schienen die hiesigen Piraten wohl doch nicht zu sein, obwohl er uns treuherzig versicherte, man sei ja gegen mögliche Überfälle gewappnet. Zum Beweis griff er unter die Plane und zog ein langes Messer mit beidseitig geschliffener Klinge hervor, also keins von denen, die man zu Hause in der Küchenschublade hat. Vier Stück hätten sie davon an Bord, und wir dürften sicher sein, dass sie alle damit umgehen könnten.
Natürlich waren wir gebührend beeindruckt, doch im Stillen fragte ich mich, ob der tapfere Mensch schon mal etwas von Revolvern oder sogar Maschinenpistolen gehört hatte. Moderne Piraten gehen doch nicht mehr mit Enterhaken und Hackebeilchen auf Beutejagd!
Das abendliche Gesprächsthema an der Bar war gesichert! Zwar bedauerte uns kaum jemand wegen der Ängste, die wir hätten ausstehen müssen (na ja, sie hatten zum Glück nicht lange gedauert), vielmehr wurden wir noch übertrumpft, denn der Überfall während einer Foto-Safari in Kenia war natürlich viel spektakulärer gewesen. Bewaffnet mit Pfeil und Bogen hätten die Massai ihre Gruppe umzingelt, schilderte Bob aus Massachusetts – derzeit wohnhaft in Hongkong -sein letztjähriges Abenteuer, und wenn sie nicht ihr ganzes Geld und die Frauen ihren Schmuck abgeliefert hätten, wären sie bestimmt alle massakriert worden. Ich hatte die Massai zwar ganz anders in Erinnerung, nämlich als friedliches Völkchen, das am Strand Souvenirs verkaufte und abends in den Hotels so eine Art Stammestänze zelebrierte, die mit den uralten Riten vermutlich wenig Ähnlichkeit hatten, aber das lag schon einige Jahre zurück, und die möglichen Vorteile eines Kidnapping hatten sich vielleicht doch schon bis ins kenianische Hochland herumgesprochen.
Jean-Claude aus Nancy war angeblich mal richtig entführt worden, irgendwo in den Anden (was hatte er da bloß gesucht?), aber da er zu keinerlei Auskünften über Ort des Geschehens, Höhe des Lösegeldes etc. bereit war, glaubten wir ihm die Geschichte nicht so ganz.
Zwei jugendliche Rucksack-Touristen aus dem Saarland, die vor zwei Tagen angereist waren und lieber am Strand schliefen statt in ihrem Bungalow, baten Hannes um Standortbestimmung des Beinahe-Überfalls; sie würden gerne selbst einen provozieren, um dann darüber berichten zu können. »Wir sind nämlich freie Reporter.« Bar aller seemännischen Kenntnisse murmelte Hannes ein paar Zahlen, die es mit Sicherheit auf keiner Seekarte gibt, während Steffi schon detailliertere Angaben machen konnte: »Erst geradeaus, nach der zweiten Insel Kurs Nordost, dann ungefähr eine halbe Stunde lang so bleiben, und wenn jeweils rechts und links auf gleicher Höhe eine Insel auftaucht, mittendurch und danach scharf links. Da müsst ihr dann so lange herumdümpeln, bis jemand kommt.«
»Wer soll sich denn das merken?«, brummte der Jüngling und forderte seinen Kumpel auf, die Sachen zu packen, damit sie schon morgen mit dem ersten Boot wieder abhauen könnten. »In Manila ist bestimmt mehr Äktschen, hier isses ja toter als tot.«
Dabei stimmte das gar nicht. Am nächsten Tag war nämlich das chinesische Neujahrsfest, mit dem das Jahr des Schweins begann. Vielleicht war’s auch der Affe, oder aber das Affenjahr war gerade zu Ende gegangen, so genau weiß ich das wirklich nicht mehr, jedenfalls waren morgens Rezeption und Speisesaal mit roten Bändern geschmückt, die Bar natürlich auch. Abends gab es sogar
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