Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
gegeben.«
    »Ich sehe mir das mal näher an.« Ungewohnt schnell erhob sich Hannes von seiner Liege, doch bevor ich ihn noch anpflaumen konnte von wegen »gleich stehst du im Mittelpunkt und folglich allen im Weg«, sprang auch Steffi hoch und lief hinterher.
    »Was soll denn das? Habt ihr zu viel Sonne abgekriegt oder bloß Entzugserscheinungen, weil heute der Nachmittagstauchgang ausgefa …« Nein, nichts dergleichen, Ursache der plötzlichen Flucht war Uschilein, schon fein gemacht in seegrünem Flatteranzug mit Chiffonschal.
    »Ist ja vielleicht ein bisschen zu elegant für ein einfaches Picknick« – mein erstaunter Blick schien ihr nicht entgangen zu sein – »aber ich habe doch schon alles gepackt, und das Tiegaun hier nimmt so wenig Platz weg, das kriege ich noch in Karls Koffer rein. Auf der Hinreise hatte ich es nämlich noch nicht.«
    Stimmt ja, Herr und Frau Klatz würden morgen abreisen, und wenn ich ihre Andeutung richtig interpretierte, dann hatte Uschilein dieses Kleidungsstück ebenfalls in Hongkong erworben, trug es zum ersten Mal und wollte bewundert werden.
    »Sie sehen großartig aus!«, bestätigte ich. »Schon allein wegen der Farbe des … wie sagt man denn dazu? Anzug? Ist ja eigentlich kein richtiger, die Ärmel fehlen – steht Ihnen aber wirklich gut zu den roten Haaren.«
    Sie wischte ein paar Sandkörner von Steffis Liege und setzte sich vorsichtig. »Wissen Sie, ich habe schon lange was zum Ausgehen gesucht, ins Theater und so, wir haben ja Abonnement, aber nicht immer, oder zur Winterfeier vom Turnverein, da isses auch immer sehr elegant, und dann natürlich zur Prunksitzung vom Karnevalsverein, wo der Karl Hauptmann bei der Garde ist, da kann man auch nicht bloß so im Sonntagskleid kommen.«
    »Natürlich nicht.« Irgendetwas musste ich wohl mal sagen, obwohl mir die Gepflogenheiten des Karnevals ziemlich fremd waren. Zwar hatte ich früher mal einige Jahre in und um Düsseldorf herum gewohnt, hatte den programmierten rheinischen Frohsinn also hinreichend kennen gelernt, ihm jedoch nie etwas abgewinnen können. Ich glaube, man muss dort geboren und in den Karneval hineingewachsen sein, sonst bekommt man ganz einfach Schwierigkeiten damit, zu einem vorgegebenen Zeitpunkt tagelang fröhlich sein zu müssen.
    »Zuerst wollte ich mir den Tiegaun ja gar nicht kaufen«, fuhr Uschilein fort, »nicht mal anprobieren wollte ich ihn, aber Nadine hat gesagt, das ist genau meine Farbe, und die Hosen sind oben und unten gleich weit, da fällt es nicht auf, wenn die Taille nicht mehr so schmal ist wie früher, und für oben herum habe ich noch den Schal gekauft, auch wenn er nicht dieselbe Farbe hat.« Sie zupfte an dem Chiffon herum, bis er zumindest den Nacken wie eine Halskrause umschloss. »Rauchgrau hat der Verkäufer gesagt, aber ich weiß nicht, ob Nadine das richtig übersetzt hat.«
    Mit Sicherheit nicht, oder aber in dem Modegeschäft hatte es nur künstliches Licht gegeben, denn der rauchgraue Schal tendierte nach meiner Ansicht mehr ins Hellblaue. Und was sich hinter dem merkwürdigen »Tiegaun« verbarg, hätte ich auch noch gern gewusst. »Jetzt muss ich mal ganz dumm fragen: Was genau ist denn ein Tiegaun? Ich habe das Wort noch nie gehört.«
    »Ich auch nicht, aber es hat auf dem Schild gestanden. Lesen kann ich so was ja nicht, weil ich kein Englisch kann, und aussprechen auch nicht, die schreiben das ja alles ganz anders als wie sie sprechen, bloß Nadine hat gesagt, dass es so heißt, nämlich Tiegaun.«
    Und plötzlich klingelte es bei mir. Da hatte es doch mal eine Tante Elfi gegeben, eine österreichische Freundin meiner Mutter, die in den fünfziger Jahren einen Amerikaner geheiratet hatte und mit ihm nach Los Angeles gezogen war. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich sie quasi geerbt, d.h. ich schrieb ihr hin und wieder einen Brief, gratulierte regelmäßig zum Geburtstag, kriegte ebenso regelmäßig plakatgroße Weihnachtskarten zurück, schickte auch mal Fotos von den Kindern und fand es ganz praktisch, einen Anlaufpunkt zu haben, sollte ich wider Erwarten doch mal in die Staaten kommen. Ansonsten war Kalifornien weit weg und folglich auch Tante Elfi. Hatte ich gedacht, aber seitdem es Flugzeuge gibt, sind die entfernten Bekannten auch nicht mehr das, was sie mal waren. Außerdem hatte ich nicht gewusst, dass ihre recht betagte Mutter noch lebte, und wer die Entfernungen in den USA gewöhnt ist, für den sind die paar Kilometer zwischen Wien und Heilbronn ein

Weitere Kostenlose Bücher