Menschenskinder
Katzensprung.
Es kam, wie es kommen musste: Tante Elfi besuchte uns, nervte, ernährte sich ausschließlich von schwarzem Kaffee, Steaks und Whisky, wobei sich die Reihenfolge im Laufe des Tages umkehrte, und weil es Sommer und sogar richtig heiß war, trug sie meist ein aus diversen Teilen bestehendes, ziemlich durchsichtiges Schleiergewand – mal mit Hosen, mal bodenlang, morgens kurzärmelig und mit Shorts, abends bedeckt, und als ich sie am zweiten Tag noch in Unkenntnis ihrer merkwürdigen Gepflogenheiten kurz vor dem Mittagessen fragte, ob sie denn nicht endlich ihr Neglige aus- und was Vernünftiges anziehen wolle, warf sie mir einen vernichtenden Blick zu. »Das ist ein Tiegaun, damit ist man innerhalb des Hauses immer angezogen!«
Wie lange ich später im Wörterbuch geblättert habe, kann ich nicht mehr sagen, aber ich habe es gefunden. Dass es aus dem Englischen kommen musste, war mir genauso klar wie die Wahrscheinlichkeit, es könne sich nur um etwas handeln, das mit Tee zu tun hat (tie heißt auf Deutsch nämlich Krawatte, doch mit einem Kulturstrick lief Tante Elfi nun wirklich nicht herum). Der five-o’clock-tea jedoch ist auch heute noch jedem Engländer heilig (auch wenn er merkwürdigerweise um vier Uhr eingenommen wird), und wer sich zum Dinner in Smoking und Abendkleid wirft, hat mit Sicherheit auch etwas Passendes für den Nachmittagstee im Schrank. Also suchte ich alle mit »tea« zusammengesetzten Wörter, fand aber nirgends ein »gaun«, rekapitulierte die einstmals gepaukten englischen Aussprache-Regeln und kam schließlich auf das Wort »gown«. Na also! Frei übersetzt heißt »teagown« also Teegewand, was immer man sich darunter vorzustellen hatte, doch so, wie Tante Elfi herumgelaufen war, würde sich wohl keine Frau nachmittags um vier in ein Cafe wagen -nicht mal eine Engländerin, von denen man ja doch so einiges gewöhnt ist. Man braucht nur mal an ihre Hüte zu denken. Die Sonne war schon untergegangen, als die Vorbereitungen für das Valentins-Picknick endlich abgeschlossen waren und nun auch diejenigen auf das geheimnisvolle Eiland gebracht werden sollten, für die das ganze Spektakel stattfand, nämlich die Gäste. Außer Uschilein hatte niemand dem besonderen Anlass Rechnung getragen, vielmehr dominierten Shorts und Blusen oder T-Shirts, besonders Kälteempfindliche hatten vorsichtshalber lange Hosen mitgenommen, nur Karl war korrekt gekleidet und trug die bei deutschen Männern über fünfzig so beliebte Urlaubsgarderobe: Bermudas, Hawaiihemd, Tennissocken und Sandalen, letztere allerdings noch in der Hand, denn es galt ja einige Meter Meer zu durchkreuzen. Zu Fuß! Und obwohl Uschi ihre TeagownHosenbeine bis zu den Knien hochschob und Karl von hinten das bodenlange Oberteil raffte, war klar, dass das Kleid zu lang und die Wellen zu hoch waren.
»Steck’s einfach in die Unterhose!«, empfahl Karl in nur wenig gedämpfter Lautstärke, »es ist doch sowieso gleich dunkel.« Das wollte Uschi dann aber doch nicht, vielmehr blieb sie so lange zeternd stehen, bis einer der Boys ins Wasser sprang und sie auf den Arm nahm. Dass ihre Schleppe trotzdem nass wurde, hatte sich wohl nicht vermeiden lassen, aber sie bot später einen hübschen Kontrast zum übrigen Kleid: Dick mit ockerfarbenem Sand bepudert.
Als Letzter kletterte der Doc an Bord, in einer Hand das Erste-Hilfe-Köfferchen, in der anderen zwei Schachteln Streichhölzer von jener Länge, wie man sie zum Anzünden von Meerschaumpfeifen braucht oder von Christbaumkerzen, sofern man noch richtige aus Wachs benutzt, die immer auf den Teppichboden tropfen.
Schon von weitem hatten wir über die vielen Lichtpünktchen gerätselt, sie jedoch erst beim Aussteigen als Fackeln identifiziert, die über die halbe Insel verstreut im Sand steckten. Die andere Hälfte lag im Dunkeln. Dazwischen glühten die Grillfeuer, und über dem ganzen Szenario wölbte sich der inzwischen nachtblaue Himmel mit seinen Millionen von Sternen. Es fehlte bloß noch der Mond, doch der kam erst später und dann auch nur sehr unvollkommen, dabei hätte zu dieser Theaterkulisse ein richtig schöner Vollmond gehört. Aber man kann ja nicht alles haben!
Zumindest hatten wir Wind. Erst eine leichte Brise, sehr angenehm übrigens, die Temperatur musste nach meiner Schätzung immer noch so um 28 Grad herum liegen, dann etwas heftiger, so dass die Papierservietten durch die Luft segelten, und dann noch ein bisschen stärker, worauf die ersten Fackeln
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