Menschenskinder
ziemlich einfach nachzukochen. Tatsächlich? Was käme denn da so in Frage?
Ich zog das Buch aus dem Regal, pustete den Glitzerstaub vom Einband und schlug es bei den Vorspeisen auf. Kretisches Omelett klang schon mal sehr professionell, war trotzdem einfach herzustellen, würde allerdings an dem frischen Rosmarinzweig scheitern. Wo um alles in der Welt sollte ich hier fernab jeglicher Delikatessenläden so etwas bekommen? Und dann auch noch im Winter! Also weiterblättern. Orangen-Avocado-Salat mit Shrimps wäre auch was, vorausgesetzt, man mag Avocados. Ich mag sie aber nicht! Vielleicht eine Lauchtorte? Auch nicht das Wahre, sonst denken sie vielleicht, wir könnten uns keine richtige leisten. Und überhaupt muss ich erst einmal das Hauptgericht aussuchen und danach alles andere. Als Dessert kommt nur Himbeer-Mousse in Frage, die hatte ich schon mal gemacht, und da hatte sie beinahe so gut geschmeckt wie sie ausgesehen hatte. Die eingefrorenen Himbeeren müssen sowieso weg. Wie wäre es mit Lammkeule provenzalisch? Klingt gut, geht aber nicht, eine reicht nur für vier Personen, wir wären jedoch sechs. Und bei zwei Keulen müsste ich alle Zutaten ebenfalls verdoppeln, was bedeuten würde, 40 Schalotten zu schälen! Dabei schaffe ich nicht mal drei normale Zwiebeln, ohne Tränenbäche zu vergießen. Also keine Lammkeule! Ist sowieso nicht jedermanns Sache, vielleicht wäre Geflügel besser? Toskanisches Platthuhn zum Beispiel. Muss gar nicht aus der Toskana sein, steht da, ein deutsch gackerndes geht auch, allerdings sollte es in freier Natur aufgewachsen sein. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ein Huhn habe herumlaufen sehen, hier in unserem Ort jedenfalls nicht. Und platt wird es nicht, weil es unter ein Auto gekommen ist, sondern wenn man es während des Bratens mit einem Ziegelstein beschwert. Na, ich weiß nicht …
Dann schon lieber Wildentenbrust auf Weinsauerkraut mit Trauben. Das Kraut gibt’s in Dosen, Weintrauben werden sich auch noch auftreiben lassen, aber sechs Wildentenbrüste? Muss man sich die selber schießen? In der Tiefkühltheke vom Supermarkt liegen nämlich bloß ganz normale Enten der Handelsklasse A.
Ach, zum Kuckuck mit Bios Rezepten! Der wohnt in Köln, einer Stadt mit 400 000 Einwohnern, wir haben noch nicht mal 20 000, und da lohnen sich eben keine Geschäfte, in denen man Wildenten, Stubenküken und Anfang März frische Rosmarinzweige kriegt! Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die schwäbische Küche sehr bodenständig ist, und zu Spätzle oder Hochzeitsnudeln passt nun mal kein Kaninchen in Koriandersoße. Allerdings sind Nickis Schwiegereltern auch Zugereiste, stammen aus Norddeutschland und hätten bestimmt nichts einzuwenden gegen Wildentenbrust.
Noch rechtzeitig genug fiel mir ein, dass wir ja nicht in Amerika leben, sondern in Deutschland, wo man seit alters her zum Nachmittagskaffee einlädt und Kuchen auffährt. Als ich mich bei Nicki erkundigte, ob es bei ihren künftigen Verwandten jemand an der Galle hätte und keine Sahnetorte essen dürfe oder vielleicht zuckerkrank sei, sah sie mich an, als würde ich plötzlich chinesisch reden. »Warum interessiert dich das?«
»Wegen der Einladung.«
Aufgeklärt über mein Vorhaben winkte sie ab. »Ihr kennt euch doch, also weshalb so ein offizielles Meeting? Auf dem Polterabend habt ihr genug Gelegenheit, euch näher zu kommen. Da ist es dann auch nicht so steif, und außerdem kann sich jeder abseilen, wenn er vom anderen genug hat, dort fällt es ja nicht auf.«
Auch wieder wahr! Im Umgang mit der schwiegerelterlichen Konkurrenz war ich wirklich noch nicht geschult. Meine ersten Erfahrungen hatte ich seinerzeit in England gesammelt, wo es nur Saschas Schwiegermutter gegeben hatte und keinen Schwiegervater mehr, dafür jedoch Geschwister, und kein einziger von ihnen, Braut Vicky inbegriffen, hatte auch nur ein Wort deutsch gesprochen! Das Kennenlernen ist ja auch nicht so ganz einfach gewesen, und statt Kaffee hat’s meistens Tee gegeben.
Nastassjas Eltern kennen wir bis heute nicht. Zur Hochzeit hatten sie nicht kommen können, und wenn sie mal in Düsseldorf sind, dann kann ich nicht. Meinen Vorschlag, auf der Rückfahrt doch einen kleinen Umweg von läppischen 450 km zu machen und bei uns vorbeizuschauen, haben sie unbegreiflicherweise bis heute abgelehnt.
Dabei sind wir ganz leicht zu finden, denn unsere Autobahnausfahrt wird jeden Tag im Radio genannt – bei den Staumeldungen.
Mit Stefanies Schwiegermutter hatte
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