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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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später noch, als man keine Handkurbel mehr dazu brauchte, aber damals hatte die Weiterentwicklung auch Jahrzehnte gedauert. Heute geht das schneller, und die Schwierigkeiten haben ja auch erst mit den modernen Apparaten begonnen. Ich kann mich nämlich noch sehr gut an jenen Tag erinnern, als unser erster Videorecorder ins Haus kam. Rolf hatte ihn von einem Kunden mitgebracht, der die Rechnung für seinen neuen Prospekt lieber in Form von Waren bezahlen wollte, und damals waren diese Recorder noch richtig teuer gewesen. Wurde unserer ja dann auch.
    Es fing damit an, dass das Gerät einen Platz in der Nähe des Fernsehers brauchte wegen des Verbindungskabels und der zu kurzen Strippe für die Steckdose, und weil’s dann auch besser aussehen würde, und überhaupt hatte man das nun mal so, und was man hat oder tut, ist allgemein gültig. Jedenfalls bei der heranwachsenden Jugend, und meine bewegte sich seinerzeit in so einer Art Zwitterstadium. Wir brauchten sie nicht mehr zu erziehen, sondern bloß noch zu finanzieren.
    Mein Vorschlag, den rechteckigen, ungefähr zwanzig Zentimeter hohen silbrigglänzenden Metallkasten einfach auf den Fernseher zu setzen, wurde abgelehnt, weil man das nicht darf wegen der Wellen. Aha! Später stellten wir fest, dass er auf Grund seiner Größe sowieso nicht draufgepasst hätte. Also musste das Bücherregal um- und teilweise ausgeräumt werden, denn wir brauchten ein zusätzliches Brett. Hatten wir aber nicht, denn das eine, das seinerzeit übrig geblieben war, hatte Sven schon längst abgeschleppt als Unterbau für seinen Hamsterkäfig. Den Anruf beim Möbelgeschäft hätte ich mir auch sparen können; angeblich hatte es sich bei der Regalwand um ein Auslaufmodell gehandelt, das sich leider nicht mehr ergänzen lasse, aber ich könnte mir doch bei OBI ein passendes Brett zuschneiden lassen! Danke! Und wo sollte ich die Patina herkriegen, die helles Holz im Laufe der Jahre nun mal annimmt?
    Am ersten Abend kriegten wir die Sache ohnehin nicht in den Griff, denn erst einmal musste die Frage geklärt werden, ob Schiller, Heine und Theodor Fontane in ein anderes Zimmer umquartiert werden sollten oder doch besser die zwar dank ihrer farbenfrohen Schutzumschläge dekorativeren, aber natürlich längst nicht so bedeutenden Neuerscheinungen auf dem Thriller-Markt; mit dem Gelb der John Grishams oder dem glänzenden Schwarz von Frederick Forsythes Büchern kam der Einheitslook unserer Klassiker natürlich nicht mit.
    Meine Großeltern hatten sie auch mal gehabt in Leder mit Goldschnitt, nur hatte ich sie nicht erben können, weil sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf dem Schwarzmarkt gelandet waren; Antiquitätenhändler haben sich damals einen soliden Grundstock für die spätere Wiedereröffnung ihrer Geschäfte zulegen können!
    Schiller und Heine durften bleiben, Fontane kam in die Mansarde, er war der Jüngste und noch nicht ganz so klassisch. Als wir mit dem Umbau endlich fertig waren und der Videorecorder zwischen zwei Regalbrettern mit fünf Zentimeter Platz oben drüber – muss sein wegen der Luftzirkulation! – installiert war, stellte sich heraus, dass die Sache noch immer nicht hinhaute. Die früheren Recorder waren nämlich noch keine Front- sondern Toplader, bei denen man einen Schalter betätigen musste, dann kam oben eine Vorrichtung heraus, in die man die Kassette einzulegen und danach wieder herunterzudrücken hatte. Und dieser ›Fahrstuhl‹ war um einiges höher als fünf Zentimeter!
    Natürlich haben wir auch einen Fachmann gebraucht, der meinem Ehemann die Handhabung des Geräts erklären musste, weil die Gebrauchsanweisung zwar in acht Sprachen sehr viel Wissenswertes enthielt, darunter auch drei Seiten mit den Adressen aller in Europa niedergelassenen Firmenvertretungen, nur nicht, was genau man tun musste, um das nächste Mal den ›Vater der Braut‹ endlich für die Ewigkeit zu konservieren. Ich wurde natürlich nicht hinzugezogen, weil mir auf Grund meines Geschlechts das technische Verständnis fehlte.
    Drei oder vier Wochen später wurde ich Zeuge eines Telefongesprächs zwischen Nicki und einer Freundin. Es endete mit den Worten: »Ich glaube nicht, dass ich es bis dahin schaffe, weil ich meinem Vater versprochen habe, ihm noch mal zu erklären, wie man den Videorecorder programmiert. Das Kino fängt doch um acht an, und jetzt ist es schon halb vier!« Er kann es übrigens bis heute nicht, aber die Ausrede, er wolle nicht dauernd vom Sessel aufstehen,

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